Leonie Dorn
Vergisst beim Anblick von Klatschmohn all ihre Sorgen und trauert Jon Stewart immer noch nach.
Vergisst beim Anblick von Klatschmohn all ihre Sorgen und trauert Jon Stewart immer noch nach.
Ein letztes Mal laufe ich die Hauptstraße hinunter. Vorbei am Bäcker und an der Kaffeerösterei, vorbei am alten Warenhaus, hinter dessen nun teilweise schon wieder sichtbaren Erdgeschoss sich das Kaufland, eine Woolworth-Filiale und ein gigantischer Drogeriemarkt im hellen Scheinwerferlicht auf die Eröffnung vorbereiten.
„Man muss kämpfen“, sagt der Fischhändler, „ist alles nicht mehr so leicht.“ Der junge Mann trägt einen dicken blauen Pullover und sieht ein wenig müde aus. Mit einer großen Metallschaufel läuft er nach hinten und kommt mit einer Ladung Eis wieder, die er sorgfältig auf den Makrelen verteilt. Der Laden ist zweckmäßig eingerichtet. Ein strahlend blauer Fußboden Kacheln mit einem Delfin-Motiv und ein Nazar-Amulett an der Wand. Es riecht angenehm nach Fisch, frisch, nicht alt. Ich betrachte die Sardinen vor mir, den Wolfsbarsch und die Doraden. Ganze Fische, noch nicht ausgenommen.
Im Fenster ein bisschen Pangasius-Filet, Lachs und Meeresfrüchte, aber der Fokus liegt eindeutig auf den ganzen Tieren, die in weißen Styroporkisten auf den Verkauf warten. Meerbarben, Seehecht, Forellen. In der Theke liegen Zettel mit den Bezeichnungen auf Türkisch und auf Deutsch. Auf den Sardellen steht außerdem „Alice“. Vermutlich der italienischen Kundschaft wegen, der Metzgerladen ist ja gegenüber.
Eine kleine Frau mit Kopftuch und einem langen engen Mantel betritt den Laden. Der Inhaber schaut mich fragend an. „Mach nur“, sage ich, „ich habe Zeit.“ Nach einem kurzen Beratungsgespräch auf Türkisch entscheidet sich die Frau für drei Wolfsbarsche. Der Verkäufer schuppt die Fische, ein irgendwie sprödes Geräusch. Als die Kundin gegangen ist, setzen wir unser Gespräch fort.
Seit zehn Jahren gibt es den Laden nun. Manchmal helfen seine Eltern hier aus. Die kamen 1978 von Istanbul nach Köln, der Vater als Türkisch-Lehrer. Und auch seine Mutter sei eine studierte Frau. „Die haben sich hier gewöhnt“, sagt er und schaut ein wenig abwesend auf die gerade ruhige Straße, „aber ganz ehrlich, du vermisst dein Land.“ 20 Prozent seiner Kunden seien türkisch, sagt er, der Rest gemischt – Deutsche, Italiener, Araber …
„Wie heißt du?“, frage ich.
„Orhan.“
„Nachname?“
„Lieber nicht.“
Er verrät noch, dass er 30 Jahre alt ist, ein Foto möchte er nicht machen. Auch nicht von seinen Händen, die einen Fisch halten. „Die Leute sind nicht mehr schnell“, sagt er und lenkt vom Thema ab, „hat sich viel verändert. Ich mag schnelle Geschäfte.“
„Was siehst du in mir?“, fragt er mich unvermittelt und ich weiß nicht direkt, was ich darauf antworten soll.
„Du scheinst mir jemand zu sein, der mehr erreichen will“, sage ich schließlich diplomatisch.
Die Antwort scheint ihm zu gefallen.
„Ja“, sagt er, „man muss kämpfen.“
Fisch Paradies
Rolshover Straße 3 /Di-Sa 9-19
Gestern hat das EU-Parlament ein Gesetz zum Verbot von Einwegpastik auf den Weg gebracht. Wie gut, dass es schon längst Läden gibt, die Waren ohne (Plastik-)Verpackungen verkaufen. Melanie war gestern dort.
Für den Challenge-Mittwoch, Tag 6 des Selbstversuchs „Einkaufen ohne Supermarkt“, habe ich den Besuch beim Unverpackt-Laden Freikost Deinet eingeplant. Dafür habe ich wieder einmal früher Feierabend gemacht und bin zusammen mit meiner 18-jährigen Tochter Emma mit dem Bus nach Duisdorf gefahren, einem Stadtteil am entgegengesetzten Ende des Bonner Stadtgebiets. Obwohl ich das Konzept ziemlich gut finde und auch schon jede Menge Artikel über den Laden gelesen habe, war ich erst ein Mal dort. Und das auch nur zum Mittagessen im beruflichen Zusammenhang. Damals hatte ich jedoch nicht so richtig Gelegenheit, mich genauer umzuschauen, und das wollte ich unbedingt nachholen. Emma ist ebenfalls interessiert an alternativen und nachhaltigen Konsummöglichkeiten – das hat wohl ein wenig abgefärbt – und ich war froh, dass ich mal nicht alleine auf Einkaufstour gehen musste. Noch froher, als sich vor Ort herausstellte, dass ich nicht fotografieren durfte. Alleine wäre ich mir in dieser Situation etwas verloren vorgekommen. Zusammen haben wir dann aber alle Ecken des 90 Quadratmeter kleinen Ladens unter die Lupe genommen.
Besonders die Ecke mit den Spendern zum Selbstabfüllen hat mich interessiert. Während ich in den letzten Tagen Gemüse, Milchprodukte und Co. gekauft hatte, wollte ich doch mal schauen, was es an „trockenen“ Lebensmitteln zu kaufen gäbe, Mehl, Salz und Gewürze zum Beispiel. Erst sah es gar nicht nach viel aus, aber es gab jede Menge Getreide und Pseudogetreide, Trockenfrüchte, Nüsse, und verschiedene Nudeln – sogar aus Hülsenfrüchten, aus Emmer oder Dinkel. Außerdem Naschzeug wie Fruchtgummis, bunte Schokolinsen und schokolierte Nüsse und Trockenfrüchte.
Was ich nicht kapiert hatte und wegen meiner Abfuhr in Sachen Fotos mich nicht getraut habe zu fragen, habe ich nun im Nachgang auf der Deinet-Website nachgelesen; „Gerne mahlen oder schroten wir Ihnen unsere Getreidesorten frisch in unserer Mühle.“ Da wäre es gewesen, das Mehl aus heimischen Getreidesorten, wahlweise aus Weizen, Dinkel, Emmer, Gerste, Hafer oder Roggen. Aber die Chance hatte ich verpasst. Ich bin noch nicht mal darauf gekommen, dass ich das Getreide auch zu Hause hätte mahlen können. Denn dort steht, von einem Kunden leihweise zur Verfügung gestellt, eine Turbo-Küchenmaschine, die (fast) alles kann. So war ich aber in meinem Trott und habe nicht an die naheliegendste Lösung gedacht. Dabei habe ich, für den gerade erwähnten Kunden, sogar in einen Text geschrieben, dass selbst gemahlenes oder geschrotetes Getreide aromatischer sei und sich länger hielte. Tja, so ist das mit der Theorie und der Praxis…
Salz und Gewürze konnte ich mir leider auch nicht – wie man sich das romantisch denken könnte – mit einem kleinen Schäufelchen selber abfüllen. Für diese und weitere Dinge des regelmäßigen Bedarfs gibt es bei Freikost Deinet ausgewählte Produkte von Bio-Herstellern. Es irritiert schon ein wenig, dass der Laden auf den ersten Blick nicht viel anders aussieht als jeder andere kleine Bioladen. Beim zweiten Hinsehen ist es aber mehr als pragmatisch. Denn wer würde zum Beispiel blasse getrocknete Kräuter ohne Aroma kaufen wollen? Da nehme ich doch lieber abgepackte vom Bio-Kräuterspezialisten meines Vertrauens, zum Beispiel aus dem österreichischen Waldviertel.
Auch wenn man es anders erwartet – es macht schon Sinn, dass manches verpackt ist. „Verpackungsfreiheit hat ihre Grenzen und ist nicht für alle Produkte umsetzbar. Weil wir aber alle Nahrungsmittel des täglichen Bedarfs abdecken wollen, führen wir auch eine verpackte Produktpalette.“, so ist auf www.freikost.de nachzulesen. Wie gut, dass viele Bio-Unternehmen sowieso überwiegend auf Plastik und unnötige Umverpackungen verzichten.
Pragmatisch ist auch die Einstellung, dass es nicht darum geht, Supermärkte komplett zu ersetzen. Inhaber Tim Deinet sagte vor fünf Jahren in einem Interview auf Deutschlandfunk Nova „Hat ja niemand gesagt, dass der Supermarkt unverzichtbar ist. Was wir machen möchten ist, Hartplastikschalen für Tomaten vermeiden.“ Das ist jetzt, da ein willkürlich herausgepicktes Zitat, etwas zu kurz gegriffen, aber das macht die ganze Sache auch wieder glaubwürdig. Und wenn man sich ein wenig dafür interessiert, woher die Lebensmittel kommen, wird man hier auf jeden Fall den einen oder anderen Aha-Effekt erleben.
Viele der regionalen Lieferanten kenne ich zum Beispiel schon, weil ich in dieser Bonner Foodie-Szene unterwegs bin. So liegt hier Brot von Laib & Seele im Regal, das es auch – persönlich vom Bäcker oder seiner Frau – in meiner Marktschwärmerei gibt. Und über noch etwas freue ich mich sehr: In der Käsetheke mit wirklich tollem Angebot gibt es ein paar Spezialitäten von Haus Bollheim, einem Demeter-Hof in Zülpich. Den Käse habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten probieren dürfen und fand ihn einfach toll, besonders den Bollheimer Pikantus, der ein wenig an Bergkäse erinnert – sehr lecker! Nur ist er nicht leicht zu bekommen. Nun kann ich ein großes Stück mit nach Hause nehmen. Dank der netten Beratung auch noch einen Comté und einen stark duftenden Brie, die ebenfalls sehr gut schmecken, wie wir zu Hause feststellen.
Mein Fazit
Eine gute Sache, der Freikost-Laden. Wegen der Entfernung aber für mich für den täglichen Einkauf nicht praktikabel. Wenn die Nudeln, die ich gekauft habe, lecker sind und ich regionales Getreide vermahlen wollte, würde ich wiederkommen. Für den Käse sowieso. Für den Rest schätze ich mich glücklich, dass mein Grüner Laden direkt um die Ecke ist. Das war einer der ältesten unabhängigen Bioläden in Bonn, der 2017 als Laden der DLS Mühlenbäckerei wiedereröffnet wurde. Das ist aber wieder eine andere Geschichte…
Mehr Informationen
Wer jetzt neugierig geworden ist, findet auf www.freikost.de weitere Informationen und zahlreiche Medienberichte über den Unverpacktladen Freikost Deinet. Unter www.freikost.de/freikost-partner-2/ werden die regionalen Lieferanten vorgestellt, außerdem die Transition-Town-Initiative Bonn im Wandel und die SoLaWi Bonn, die ich schon nach meiner Recherche am ersten Challenge-Tag genannt hatte.
Kleine Empfehlung zum Schluss:
Ich möchte allen, die sich für das Thema „Nachhaltiger Konsum“ in Bezug auf Lebensmittel interessieren, gerne noch das gleichnamige Themenportal auf der Website des Bundeszentrums für Ernährung (BZfE) ans Herz legen. Und das nicht nur, weil ich in diesem Bereich als freie Online-Redakteurin für das BZfE tätig bin. Sondern, weil es dort unabhängige und sachliche Informationen zum Beispiel zu alternativen Einkaufsorten, nachhaltigen Ernährungsinitiativen und zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen und Verpackungsmüll gibt. Ein Besuch auf www.bzfe.de/nachhaltiger-konsum lohnt sich auf jeden Fall!
Am Montagmittag mache ich mich wieder auf in die Rolshover Straße. Ab Ecke Hauptstraße versuche ich die Lage zu erkunden. Von hier sieht es immer so aus, als habe der Laden geschlossen. Ein paar junge Männer stehen vor der italienischen Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Vor mir betritt ein Mann die Metzgerei. Ich folge ihm durch den vorderen Teil des Geschäfts, in dem man Pasta und Konserven kaufen kann. Die Kasse, die mich aufgrund ihrer geringen Höhe immer an einen Kaufmannsladen für Kinder erinnert, ist nicht besetzt. Aber hinter der Theke steht, in einem makellosen weißen Kittel, die mittelalte Dame, bei der ich sonst meine Wurst kaufe. Dann sehe ich den Chef. Er ist frisch rasiert und schaut mich fröhlich an.
„Da bin ich wieder“, sage ich und bemerke erst dann wieder den Mann neben mir.
„Entschuldigung, Sie waren zuerst dran.“
„Ich würde gerne …“, sagt der Mann.
Der Chef winkt ihn rüber zu seiner Mitarbeiterin. „Er will mich etwas fragen“, sagt er und zeigt auf mich.
„Da bin ich wieder“, sage ich noch einmal.
Ich bekomme erklärt, dass er seinen Bruder gefragt habe, dass das aber leider nicht gehe, wegen zu viel Stress und überhaupt zu viel.
„Zu viele Kunden?“, frage ich.
„Neinein“, sagt der Chef, „die Gesundheit.“
Obwohl ich innerlich schon auf eine Absage eingestellt bin, frage ich trotzdem.
„Aber ein bisschen schreiben, darf ich trotzdem?“
„Aber nicht, dass wir besser als andere …“
„Komm“, sagt er und ich folge ihm hinter die Theke, vorbei an der schmalen Wurstküche in ein winziges Büro. Der jüngere Mann von den letzten Besuchen wischt sich die Hand an der Schürze ab und begrüßt mich.
Ich setze mich auf einem hellbraunen Hocker neben dem überfüllten Schreibtisch. Überall Aktenordner, Papiere und ein bisschen Nippes. Ich fasse neuen Mut.
„Ich zeige Ihnen das mal auf dem Computer“, sage ich, klappe mein Notebook auf, vertippe mich erst einmal mit dem Passwort und öffne den aktuellen Beitrag mit Bäcker Schlechtrimen.
„Gut“, sagt Giuseppe Iaia, „das ist gut. Ein bisschen Werbung ist immer gut. Aber nicht sagen, dass wir besser sind als die anderen.“
„Nein, mache ich nicht“, verspreche ich ihm.
„Ich habe auch …“, sagt er, greift über mich hinweg in einen Schrank, in dem weitere weißen Schürzen liegen, und reicht mir eine Visitenkarte.
Ein grün umrandetes Foto zeigt ihn vor seiner Theke, ein Messer in der Hand, beim Schneiden von Rindfleisch. 67 Jahre ist er alt und seit 40 Jahren hier. „Immer hier“, sagt er und beschreibt mit einer Handbewegung vage Kalk und die nähere Umgebung. Aus Apulien stammt er, im Südosten Italiens. In Köln ist er gelandet, weil sein Vater hier in der Fabrik gearbeitet hat. Wieder die Handbewegung.
„Habe ich besucht, habe ein bisschen geguckt und dann bin ich geblieben und habe ein Geschäft aufgemacht.“
Ob der jüngere Mann sein Sohn sei, will ich wissen.
„Nein, das ist der andere. Diese hier ist … ein Freund.“
Aber auch sein Sohn arbeitet hier und der Bruder natürlich. Ein Familienunternehmen eben.
„Und ein Foto geht aber nicht?“, frage ich sicherheitshalber noch einmal, wo ich jetzt schon so weit gekommen bin.
„Ja, ja, doch, warum nicht?“
Und dann wird mir klar, dass es die ganze Zeit nur darum geht, dass sein Bruder nicht mit aufs Foto möchte oder kann.
„Haben Sie auch eine Internetadresse“, frage ich, „dann kann ich Ihnen den Beitrag schicken, wenn er fertig ist.“
„Nein, nein, habe ich nicht. Wenn die jungen Leute das wollen – warum nicht. Aber ich, nein.“
„Grazie“, sage ich und reiche ihm die Hand, „alla prossima.“
Ein Lächeln geht über sein Gesicht. „Alla prossima. Ciao.“
Metzgerei Guiseppe Iaia. Johann-Mayer-Straße 18 / Mo-Sa 8-18
Online bestellen – auf dem Marktabholen. Melanie hat am Montag den Marktschärmern in Bonn einen Besuch abgestattet.
Gestern war Marktschwärmer-Tag. Zumindest in „meiner“ Marktschwärmerei Bonn Altstadt. Die Abholtage legen die GastgeberInnen selbst fest. Dabei sind ideale Abholzeiten, wenn die meisten Menschen Feierabend haben. Bei mir ist das zwischen 17:30 und 19:00 Uhr. Für alle, die nicht wissen, wie so eine Marktschwärmerei funktioniert, schreibe ich das Wichtigste heute kurz zusammen.
Vorab noch kürzer ausgedrückt: Als Mitglied einer Marktschwärmerei kannst du regionale Produkte im Internet bestellen und zu einer festen Zeit an einem festen Ort abholen. Dabei triffst du deren Erzeuger persönlich, außerdem deine Gastgeberin oder deinen Gastgeber, die das Ganze organisieren und dir bei Fragen und Problemen weiterhelfen.
Auch wichtig: Es gibt weder einen Bestellzwang noch einen Mindestbestellwert. Was, wann, wie oft und wie viel du bestellst, bestimmst du selbst.
Das Prinzip Marktschwärmer
„Da wir der Meinung sind, dass Lebensmittel viel zu schade sind, um durch Politik und Supermärkte verramscht zu werden, wollen wir unsere Produkte viel lieber direkt an die Kunden abgeben.“, so steht im Flyer von „Spicher’s Hof“ geschrieben. Und diese Einstellung dürften auch die anderen Erzeuger meiner Marktschwärmerei teilen. Um Landwirten und Lebensmittelhandwerkern eine Plattform für die Vermarktung ihrer Produkte zu geben und Verbrauchern einen direkten Weg zu guten Lebensmitteln aus der Region zu ermöglichen, wurde 2010 in Frankreich La Ruche qui dit Oui! („Der Bienenkorb, der Ja sagt“) gegründet und ab 2014 durch nationale Netzwerke in anderen europäischen Ländern erweitert.
Marktschwärmer ist ein selbständiger Teil dieses europäischen Netzwerks in Deutschland und wird von Berlin aus betreut. Anfang 2018 gab es 45 aktive Schwärmereien in zehn Bundesländern, die von ca. 750 Erzeugern beliefert werden. 60 weitere Schwärmereien sind im derzeit im Aufbau. In Frankreich sind es übrigens ungefähr 500(!) Gruppen. Die Gastgeber/innen der Marktschwärmereien nutzen die digitale Plattform mit dem Bestell- und Bezahlsystem und werden bei der Werbung unterstützt. Dafür geben sie 10 Prozent ihres Umsatzes an Marktschwärmer ab. Die Gastgeber/innen selbst erhalten 8,35 Prozent des Umsatzes für ihren Einsatz. Der Rest geht an die Erzeuger.
Zahlen und Fakten zur Schwärmerei Bonn Altstadt
Aktuell sind 1.128 Mitglieder in der Schwärmerei Bonn Altstadt registriert. Jede Woche gibt es im Schnitt ca. 60 Kunden. Darunter sind zwar viele Stammkunden, aber zum Teil wechselt die Kundschaft auch von Woche zu Woche, wie mir meine Gastgeberin Zoe verraten hat. Erzeuger sind zurzeit um die 20 dabei. Nicht alle können aber jedes Mal vor Ort sein. Wird eine bestimmte Mindestbestellsumme nicht erreicht, können sich die Erzeuger außerdem von Woche zu Woche selbst entscheiden, ob sich der Verkauf für sie lohnt.
Heute habe ich diese Anbieter im Quartiersbüro meines Wohnviertels getroffen:
– Den Obsthof Rönn mit leckerem Apfelsaft im 5-Liter-Schlauch und vielen tollen Apfelsorten sowie Birnen und Kürbissen.
– Malte Hövel vom Breuner Hof mit seinem Demeter-Gemüse und Eiern.
– Thomas Kremer mit selbst gebrautem Craft Bier namens „Toms Hütte“ in zwei Sorten.
– Katja Flohe von der Spezialitätenbäckerei Laib & Seele
– Cornelia Schröder (Conny) mit allerlei wunderbaren Produkten vom Garten und Land Hofladen Hartmann.
Außerdem gibt es in der Marktschwärmerei Bonn Altstadt Käse aus Kuh- und Ziegenmilch, Fleisch und Wurst vom Rind, Schwein, Lamm und Kaninchen, Kaffee aus einer kleinen Rösterei, Kräuter und Gewürze, Backmischungen für Brot und vieles andere mehr. Handgemachte Köstlichkeiten wie Müsli, Schokolade, Dattelkonfekt, süße und herzhafte Brotaufstriche, sensationelle Walnusstörtchen, Senf und Wein ergänzen das Sortiment. Die Aufzählung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zeigt aber eines ganz gut: Mit den Produkten aus der Marktschwärmerei kann ich eigentlich schon ganz gut durch die Woche kommen. Und das alles von Erzeugern, denen ich vertraue, ohne (Einweg-)Verpackungen und wegen der Vorbestellung frisch vom Feld.
So begeistert wie ich sind aber nicht alle Menschen.
Kritik an den Marktschwärmereien
Ein Kritikpunkt ist zum Beispiel das enge Zeitfenster für die Abholung. Man will doch spontan und flexibel sein beim Einkauf. Manchmal ist es die Internetplattform generell, häufiger jedoch die Online-Bezahlung, die abschreckt. Dabei sind mehrere Methoden möglich, darunter auch Paypal.
Kritik gab es in Frankreich vor allem vonseiten der SoLaWi-Anhänger, die das Konzept mit seiner Gewinnorientierung als direkte Konkurrenz zur eigenen, gemeinnützigen Wirtschaftsweise sehen. Tatsache ist aber auch, dass viele Verbraucher zwar saisonale Produkte aus der Region schätzen, jedoch meist weder Zeit noch Lust haben, sich in einer Solidarischen Landwirtschaft oder in anderen Ernährungsprojekten zu engagieren. Zoe weiß, dass es diese Kritik auch bei uns gibt. Mittlerweile wird aber eher das Ergänzende als das Trennende gesehen: „Ich habe KundInnen, die ihr Gemüse über die SoLaWi beziehen und andere Lebensmittel wie Brot, Eier, Fleisch und Wein bei mir. Ist doch toll, dass sich das ergänzt und diese Leute damit schon zum größten Teil regional einkaufen.“, so Zoe.
Das kann ich auf jeden Fall unterstreichen. Daher möchte ich jedem, der eine Schwärmerei in der Nachbarschaft hat, nur empfehlen, es einfach mal auszuprobieren. Null Risiko. Und nette Kontakte gibt es gratis dazu – versprochen!
Infos zur Marktschwärmerei Bonn Altstadt mit vielen lebendigen Einblicken gibt es auf der Facebook-Seite.
Auf der Marktschwärmer-Website könnt Ihr außerdem noch einmal genau nachschauen, wer gestern alles mit welchen Produkten bei meiner Schwärmerei dabei war: https://marktschwaermer.de/de/assemblies/9473
Wenn ihr noch mehr Infos braucht und wissen wollt, ob es schon eine Marktschwärmerei in eurer Nähe gibt, geht einfach über die Startseite www.marktschwaermer.de. Vielleicht möchtet ihr sogar selber eine gründen?
„Wir gehen heute zum Bäcker“, sage ich zum Kind. „Bäcker gehen“, sagt das Kind und ist sichtlich erfreut. Vermutlich, weil zum Bäcker gehen bedeutet, dass man etwas zu essen in die Hand gedrückt bekommt – ein Rosinenbrötchen etwa. Vielleicht aber auch, weil ihm klar ist, dass der Bäcker auf dem Weg zu seinem geliebten Schaukelauto liegt. Man weiß das nicht so genau. Der Seiteneingang, der durch den Flur in die Backstube führt ist offen und wir schlängeln uns zwischen den Mitarbeitern, die die leeren Bleche nach dem Ausliefern zurückbringen, vorbei ins Haus.
„Ich sag dem Chef mal Bescheid“, sagt Frau Hommer, seine Assistentin. Das Kind guckt gebannt um die Ecke, wo gerade Mehl und Backreste auf dem Boden zusammengefegt werden. „Möchtet ihr vielleicht in der Zwischenzeit mal die Backstube anschauen?“
Wir drehen eine Runde durch den Betrieb, wo gerade aufgeräumt wird, besichtigen die Arbeitsplätze der Konditor*innen und Bäcker*innen und werfen einen Blick in den noch warmen Ofen. 1932 eröffnete der Großvater des jetzigen Inhabers die Bäckerei, zunächst in Mülheim, von wo aus der Betrieb ein Jahr nach Kriegsende in die Kalker Hauptstraße umzog. 1994 erfolgte die Übergabe des Betriebs an den mittlerweile dritten Engelbert Schlechtrimen. Gegenwärtig hat das Unternehmen rund 60 Mitarbeiter in insgesamt fünf Filialen im rechtsrheinischen Köln.
„Necke“, sagt das Kind und zeigt auf die rote Schnecke auf einer Brötchentüte.
„Der Slow Baker“ steht auf dem hellbraunen Papier über der Fotografie eines Brötchenkorbs. Engelbert Schlechtrimen ist Kölns einziger zertifizierte Slow-Baker. Das bedeutet nicht nur, dass seine Backwaren frei von unnötigen Zusatzstoffen sind, sondern dass die Sauer- und Vorteige langsam und über mehrere Tage reifen. „In den langen und natürlichen Reifeprozessen bauen Enzyme aus den Bestandteilen des Mehls das spätere Gebäckaroma“, heißt das, wenn der Fachmann erklärt.
Aber auch wenn hier so gebacken wird „wie früher“, ist die Bäckerei kein Museum der Vergangenheit. 2013 wurde der Betrieb auf Vorschlag der Mitarbeiter*innen Halal-zertifiziert. Brot und Brötchen entsprechen somit den Anforderungen der Speisevorschriften des Islam. Lediglich bei den Konditorei-Produkten wird aufgrund der möglichen Verwendung von Alkohol eine Beratung empfohlen. Ein bewusstes Zeichen hier in Kalk, mit seinem hohen Anteil muslimischer Bürger*innen und eins, das in keiner Weise mit der traditionellen Ausrichtung des Betriebs mit Oberländer, Bienenstich und Mettbrötchen im Konflikt steht.
„Wer in dem Traditionscafé zum wochentäglichen Frühstücksbüffett vorbeischaut, wähnt sich auf einer Flusskreuzfahrt alter Schule“, schreibt eine Kollegin im aktuellen Restaurantführer tagnacht über die morgendliche Ansammlung von älteren Menschen, die sich hier verabreden. Vor der Teilchentheke liegen Flyer für Yoga, Kindertheater und den Bürgerverein Kalk e.V. und draußen auf der Straße machen viele Passant*innen Halt vor dem offenen Bücherschrank, in dem gelegentlich auch russisch-sprachige Bücher zu finden sind. Diese Bäckerei ist weit mehr als eine Verkaufsort für Brot, Brötchen und Kuchen von guter Qualität, sie ist eine Institution.
„Ich finde deine Projekte toll“, sagt Engelbert Schlechtrimen und meint damit nicht nur meine Teilnahme an der Supermarkt-Challenge sondern auch das Mini Food Reading Festival, mit dem wir bei ihm im Café zu Gast waren, „aber ich bin da mittlerweile etwas abgeklärt. Die breite Masse werden wir vermutlich nicht erreichen.“
Vor dem Geschäft machen wir Porträtfotos mit einem frisch angeschnittenem Möhrenbrot. Ein Dame mit einem Blumenstrauß in der Hand betrachtet ausgiebig die Auslage und wir warten einen Moment, bis sie weitergegangen ist. Das Kind inspiziert derweil die noch nicht eröffnete Außengastronomie vor dem Haus. „Möchtest du ein Hörnchen?“, fragt der Bäcker.
Es geht noch weiter: Off record“ – Besuch auf dem Apfel-Hofverkauf in Mühlheim
Bäckerei Schlechtrimen
Kalker Hauptstraße 210 / Mo-Fr 6.30-18, Sa 6.30-14, So 7.30-17 / schlechtrimen.de
Gestern war ich auf dem Markt, genauer gesagt auf zwei Märkten. Mein eigentliches Ziel war der Ökomarkt in der Nähe des Bonner Münsters. Da der „normale“ Wochenmarkt wegen der Feierlichkeiten zum Tag der Vereinten Nationen vom Marktplatz auf den Münsterplatz verlegt war, bin ich auch dort noch hinübergeschlendert – das bot sich einfach an. Und das Herbstwetter war ja traumhaft!
Der Bonner Ökomarkt
Der Ökomarkt wird von der AgrarKonzept GmbH betrieben, wie das Impressum von oekomarkt.de verrät. Das Unternehmen unterstützt seit 1995 Landwirte bei der Vermarktung ihrer Produkte. Zum Ökomarkt gehören acht Standorte in Köln und Bonn. Der am Bonner Münster findet mittwochs und samstags von 8:00 bis 14:00 Uhr statt. Einen weiteren gibt es freitags auf dem Moltkeplatz in Bad Godesberg.
In Bonn Innenstadt gibt es folgende Marktbeschicker:
Obst und Gemüse ist gleich an zwei riesigen Ständen vertreten, und zwar vom Biohof Bursch und vom Biobauer Palm, beide aus Bornheim, rund zehn Kilometer von Bonn entfernt. Beide betreiben auch Hofläden. Die beiden Töchter von Biobauer Leonhard Palm werde ich übrigens am Donnerstag wiedertreffen, da sie auch auf unserem Bauernmarkt in der Altstadt dabei sind.
Dazu dann am Freitag mehr. Käse und Milchprodukte gibt es bei der Bauernkäserei Ulmenhof.
Brot, Brötchen und süßes Gebäck bietet der Verkaufswagen der DLS Vollkorn-Mühlenbäckerei aus Hennef. Die Produkte kennen und lieben viele Bonner aus diversen Bio-Läden und anderen Partnerläden im Stadtgebiet. Fleisch und Wurst, aber zum Beispiel auch Eier und Nudeln gibt es bei der Bio-Metzgerei Huth aus Erftstadt.
Das habe ich eingekauft:
ein Stück Käse und ein Stück Butter
ein großes Roggenbrot
Brokkoli, Paprika, Sellerie, Möhren, Zucchini, Petersilie
Zum Teil brauche ich das Gemüse für die Gemüsepaste, die ich heute machen möchte, Brokkoli und Paprika habe ich spontan gekauft, weil sich damit immer etwas anstellen lässt. Auf dem Weg zu meinem Fahrrad habe ich gemerkt, dass ich Champignons und Tomaten vergessen hatte. Die habe ich dann noch auf dem Münsterplatz am einzigen Bio-Stand des regulären Wochenmarktes gekauft, außerdem noch ein Stück Bergkäse, Champignons und verschiedene frische Kräuter. Nach einem leckeren Kaffee habe ich auch noch einen Strauß Dahlien vom Blumenstand mitgenommen, bevor ich wieder nach Hause geradelt bin.
Mein Fazit
Es war, vor allem wegen des Traumwetters, ein schöner Ausflug zu den Märkten. „Eben schnell“ einkaufen, war es aber nicht, da ich an fast jedem Stand einen kurzen Schnack gehalten, Käse probiert und mich beraten lassen habe. Das macht aber auch den besonderen Charme aus.
Viel Spaß macht mir immer das Auspacken, weil ich mich über die tollen Lebensmittel freue.
Trotz Einkaufszettel habe ich aber zu Hause gemerkt, dass ich längst nicht alles gekauft habe, was ich brauchte. Hätte ich nicht die meisten Grundzutaten zu Hause gehabt, wäre ich aufgeschmissen gewesen. Für meine Paprika-Zucchini-Pfanne zum Abendessen brauchte ich zum Beispiel noch Zwiebeln und Knoblauch, Rapsöl, Salz, Pfeffer, Gemüsebrühe und einen Schuss Sahne. Den Reis dazu hatte ich zum Glück auch im Haus. Würde ich ausschließlich auf den Märkten einkaufen, müsste ich also viel besser planen.
Gut zu wissen ist aber: Es würde – mit wenigen Ausnahmen – gehen. Denn auf dem Wochenmarkt gibt es auch Gewürze, Essig und Öl, Feinkost und vieles mehr, nachzuschauen auf bonn.market und den dort verlinkten Internetseiten der Marktbeschicker.
Für die nächsten Tage nehme ich mir also vor, etwas genauer zu überlegen, was ich einkaufen möchte. Ich bin gespannt, wie mir das gelingt. Einen schönen Sonntag und bis morgen!
Johannes Arens stellt uns in der supermarktfreien Woche vier Geschäfte in Köln-Kalk vor. Doch wie kam es dazu und was genau können wir erwarten?
Kaffeerösterei Hans Hogrebe, Kalker Hauptstraße, Oktober 2018
Fischparadies, Rolshover Straße, Oktober 2018
Bäckerei Schlechtrimen, Kalker Hauptstraße, Oktober 2018
Metzgerei Giuseppe Iaia, Rolshover Straße, Oktober 2018
Bevor wir mit den Porträts loslegen, müssen wir noch einmal eine Runde drehen. Auf der Kalker Hauptstraße, aber auch gedanklich – denn schon während der Vorbereitung wird deutlich, dass die eigentliche Challenge woanders liegt.
Die Anfrage
Im Juni kommt die erste Mail von der Aktion Agrar. Kollegin B. aus Aachen habe mich empfohlen, ob ich mir vorstellen könne, eine Woche ohne Supermarkt mit Texten zu begleiten. „Kann ich mir vorstellen“, antworte ich, „ich bin allerdings ab morgen erst einmal zwei Wochen in Frankreich. Wollen wir danach telefonieren?“ Während der Reise geht mir das Projekt durch den Kopf.
Die vorgeschlagenen Themen wie Schnippeldisko, Solawi und Biokiste sind, um ganz ehrlich zu sein, nicht wirklich mein Ding. Und mit Supermärkten selbst habe ich mich ausführlich in meinen Kas|sen|zet|teln beschäftigt. Aber während wir in der französischen Provinz immer wieder verwaisten Markthallen begegnen, den Leerstand in den Innenstädten nicht übersehen können und gezwungenermaßen in den üppigen Supermarchés in den Industriegürteln einkaufen, wird plötzlich deutlich, was mich in diesem Fall wirklich interessiert: Das, was noch da ist!
Der Plan
Also dann die Supermarkt-Challenge in Köln-Kalk. Eine Woche darüber schreiben, wie und wo man auch in der Stadt ohne Discounter und Vollsortimenter auskommen kann. Keine wirklich große Herausforderung, denke ich, vor Ort gibt es ja noch Alternativen. Also schreibe ich ein kleines Konzept, suche mir ein paar Adressen zusammen und mache mir einen Zeitplan.
Montag vor dem Start der Supermarkt-Challenge müsste reichen, plane ich, um alles in Ruhe vorproduzieren zu können. Die Kaffeerösterei, in der die Bohnen in sorgsam polierten Messingschalen abgewogen werden, die Bäckerei, deren Inhaber ich als Produzenten, Nachbarn und Aktivisten schätze, die Metzgerei, in der ich meine Salsiccia kaufe, und der Fischladen, in dem ich mal eine Tüte Knurrhahn für die beste Fischsuppe in die Hand gedrückt bekam. Zufrieden schaue ich auf meine Liste – alles Geschäfte, bei denen ich ein grundlegend gutes Gefühl habe.
Die Kaffeerösterei
Die weißhaarige Verkäuferin poliert etwas hinter der Türe und ich muss einen Moment warten,
bis ich eintreten kann.
„Guten Tag, ich bin Journalist und ich wohne hier um die Ecke. Es gibt da so eine Aktion im Internet, wo die Leute überzeugt werden sollen, weniger im Supermarkt und mehr in so Fachgeschäften wie ihrem hier zu kaufen. Da schreibe ich über Einkaufen in Kalk.“
„Aha. Ja das ist gut.“
„Da hätte ich gerne auch Ihren Laden dabei.“
„Oh!“
„Also ein paar Fragen und vielleicht ein Foto.“
„Ja, das kann man machen. Aber ich frag mal lieber, sonst gibt sowas ja schnell …“
„Verstehe. Ich dachte, Sie sind die Inhaberin.“
„Nein, nein“, sie winkt ab, „davon bin ich weit entfernt.“
Sie verspricht, den Inhaber zu fragen und notiert einige Stichpunkte auf meiner Visitenkarte, die sie mit einem Tesafilm versehen in den hinteren Bereich des Ladens bringt. Ich bleibe noch einen Moment und wir sprechen über Kaffee und Kunden, über die Erderwärmung und das Verkehrskonzept für Köln Nippes.
Die Metzgerei
„Guten Tag, ich bin Journalist. Es gibt da so eine Aktion im Internet, weniger Supermarkt und mehr Fachgeschäfte und so. Da schreibe ich über Einkaufen in Kalk.“
„Aha. Da müssen Sie morgen wiederkommen“, sagt ein Mann, etwa in meinem Alter, der in einer weißen Schürze die Pasta im Regal vor der Fleischtheke sortiert, „der Chef ist heute nicht da.“
„Morgen, ab wann?“
„So ab halb neun.“
Als ich die Metzgerei am nächsten Tag wieder betrete, steht der jüngere Mann wieder vor der Theke, der Chef, um die 70, dahinter.
„Il giornalista“, sagt der Mann von gestern zum Chef. Vielleicht sein Vater?
Der nickt und guckt misstrauisch.
„Ich schreibe über Einkaufen in Kalk.“
„Aha.“
Der Blick wird nicht weniger misstrauisch.
„Nur ein Foto von ihnen und ein paar Fragen.“
Der jüngere Mann übersetzt zur Sicherheit.
„So?“, der Chef streicht sich über die weißen Stoppeln am Kinn, „so geht nicht!“
„Wann ginge es denn?“
„Nächste Woche.“
„Montag?“
„Vielleicht.“
„Montag wäre gut für mich. Vormittags?“
„Ich habe Kompagnon, meine Bruder. Muss ich erst fragen.“
Das Fischgeschäft
Montag Ruhetag.
Als ich am nächsten Tag wiederkomme, schraubt ein älterer Mann mit einer blauen Plastikschürze etwas hinter der Eingangstüre fest und ich muss einen Moment warten, bis ich eintreten kann.
„Guten Tag, ich bin Journalist und schreibe über Einkaufen in Kalk.“
„Aha. Muss ich Chefin fragen.“
Der Mann geht nach hinten und spricht mit einer Frau, die ein Stück nach vorne kommt, um mich besser sehen zu können.
„Ist das mit Geld?“, fragt sie vorsichtig.
„Nein“, sage ich, „gar nicht. Ein bisschen kostenlose Werbung für Sie.“
Die Frau lächelt erleichtert. „Gut. Kommen sie nächste Woche.“
„Nächste Woche?“
„Ja, dann ist mein Sohn wieder da.“
Die Bäckerei
Der Bäcker sollte ja nun wirklich kein Problem sein, denke ich. Den Laden kann ich quasi schon von meiner Wohnung aus sehen, wir sind befreundet und außerdem kommt er jeden Tag mit seinem Hund an meiner Haustüre vorbei. Da begegnet sich man ohnehin ständig. Ich nehme mir vor, ihn bei so einer Begegnung anzusprechen und in der Tat laufen wir uns am nächsten Tag über den Weg. Aber da hat er den Hund dabei und ich das Kind. Das versteckt sich hinter mir, weil der Hund etwa genauso hoch ist.
Zuhause schreibe ich eine E-Mail.
„Lieber E., hast du in den nächsten Tagen mal kurz Zeit für mich? Ich würde dir gerne ein Projekt vorstellen. Gerne früh! 🙂 Grüße J.“
„Gern, lieber Johannes, morgen 7.30? Liebe Grüße E.“
Johannes Arens wohnt in Köln-Kalk. Ein Stadtteil, der sich stark verändert hat in den vergangen Jahren. Was das für auch die Lebensmittel-Versorgung der Bewohner*innen im Viertel bedeutet, thematisiert er diese Woche.
Bildunterschrift: ehemaliger Kaufhof, Kalker Hauptstraße, Oktober 2018
Köln-Kalk ist im Kommen, so heißt es. Erhöhte Hipster-Schlagzahl, vegane Nudelsuppenküche, neu-eröffnetes Programmkino und so. Davon hört man im Linksrheinischen und auch über Köln hinaus ist diese cozy version von Neukölln dem einen oder anderen bereits ein Begriff. Das war nicht immer so. Ältere Kölner*innen, mit denen ich über mein Veedel spreche, legen die Stirn sorgenvoll in Falten. Dass sei ja jetzt bestimmt sicherer als früher, sagen sie und mein in Köln aufgewachsener Freund B. erzählt, dass es in seiner Jugend die Direktive gegeben habe: Egal was ihr macht – ihr fahrt nicht nach Kalk!
Die Entwicklung von einer kleinen Ortschaft zu einem flächendeckenden Industriegebiet und letztendlich zu einem Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Daher, to make a long story short: Dann war es plötzlich vorbei mit der Industrie. Die Chemische Kalk, Deutschlands zweitgrößter Sodaproduzent wurde 1993 wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen. Der Supergau für ein Viertel mit einem ohnehin problematischen Ruf, hoher Arbeitslosigkeit und erhöhter Kriminalitätsrate. Aber irgendwie ging es weiter. So wie es meistens weiter geht in einer Gesellschaft, die vor allem an Einkauf als Motor des Zusammenlebens glaubt. 2005 eröffneten hier die Köln-Arcaden mit gegenwärtig (nach eigenen Angaben) mehr als 100 Geschäften. 2012 schloss der Kaufhof seine große Filiale schräg gegenüber. In den nächsten Wochen wird hinter der denkmalgeschützten Fassade wiedereröffnet: Ankermieter ist Kaufland.
So weit so gewöhnlich. Wenn sich da nicht ein paar gallische Dörfer finden würden. Auf einem knappen Kilometer Kalker Hauptstraße finden sich zwei deutsche und zwei türkische Bäckereien mit eigener Backstube, es gibt diverse arabische Gemüsehändler, einen Fischladen, eine Kaffeerösterei, zwei Metzgereien, eine Brauerei … Das Geheimnis liegt vielleicht in der Mischung aus alteingesessenen Kölner*innen, Migrant*innen und neuerdings (aufgrund des noch bezahlbaren Wohnraums) auch Studierenden. Viele der sogenannten Gastarbeiter*innen sind geblieben. Um die Kalker Post herum gibt es ein little italy mit Trattorien, Pasticcerien und einem Fleischer. Auf der anderen Seite der S-Bahn, in Gremberg, liegt Marokko, auf der Kalker Hauptstraße gibt es türkische, polnische und libanesische Geschäfte. Und mit einem syrischen Restaurant fügen sich weitere Neuankömmlinge ein. Dazwischen liegen eine Handvoll alteingesessener Läden, eine Bäckerei in der dritten Generation, eine Brauerei & Brennerei von 1830 und gutbürgerliche Gaststätten, in denen die anwesenden Senior*innen nicht nur mit Hackbraten und Kölsch, sondern auch mit netten Worten versorgt werden.
Seit zwei Jahren wohne ich jetzt hier. In der „bürgerlichen Ecke“, pflege ich zu sagen. Haltestelle Kalk-Kapelle, einen Steinwurf von Rathaus und der Kapelle von Rudolf Schwarz entfernt. Köln-Kalk ist im Kommen – ich persönlich finde ja, das Kalk schon da ist. Aber dieses manchmal fast kitschige Setting ist eine fragile Balance. Ganz sicher, was die Konkurrenz der Discounter und Supermärkte angeht. Im fußläufigen Radius warten Aldi, Netto, Norma, Lidl, Penny, Karadag, Rewe und Edeka und demnächst eben auch ein Kaufland. Es gilt daher, Fachgeschäfte und unabhängige Produzenten zu unterstützen. Nicht nur mit Wohlwollen – sondern mit tatsächlichen, regelmäßigen Einkäufen. Denn sonst sind sie irgendwann nicht mehr da, die kleinen Geschäfte, die fundierte Beratung und die persönliche Ansprache.
In den kommenden Tagen werde ich an dieser vier Geschäfte im Veedel vorstellen.
Johannes J. Arens (Journalist & Autor, Jahrgang 1975) kann sich noch an die Eröffnung der ersten PLUS-Filiale in seinem Heimatdorf in der Nordeifel erinnern. Supermärkte zählen derzeit nicht zu seinem Fokus, wohl aber Geschichten über gutes Essen und die Menschen, die es mit Leidenschaft produzieren. Im Projekt www.gelaendegang.de erkundete gemeinsam mit zwei Sterneköchen ein Jahr lang die Bedingungen von Lebensmittelproduktion rund um Köln.
Die Supermarkt-Challenge ist Teil des Jahr der Alternativen bei dem Aktion Agrar von April 2018 bis April 2019 jeden Monat eine konzernfreie Einkaufs-Alternative vorstellt. Das Ganze ist angereichert Tipps, Rezepten und Selbstversuchen, damit das Einkaufen ohne Supermarktketten – oder den neuen Anbieter Amazon fresh – endlich zur Routine wird. Hinzu kommen Veranstaltungsformate, die Du auch selbst mit Freund*innen auf die Beine stellen kannst.
Es geht los mit dem Supermarkt-Fasten! Heute ist der Tag der Vorbereitung angesagt.
Wir empfehlen Euch, mal das Internet aufzuschlagen und euch dort ein bisschen umzuschauen. In unserer post-analogen Welt verschwimmen auch beim Einkaufen die Grenzen zwischen offline und online. Viele Höfe und Direktvermarkter haben mittlerweile Internetseiten, die „Marktschwärmer“ haben ein Online-Bestellsystem, genauso wie die meisten Bio-Kisten Anbieter. Trotzdem ist es immer wieder schön und wichtig, mit den Menschen, die Nahrungsmittel zu produzieren, reden zu können – ob auf dem Wochenmarkt oder beim Gemüse abholen bei der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi).
Allen, die sich zur „Challenge“ angemeldet haben, flattert ab jetzt täglich eine Mail mit Tipps und Rezepten ins Haus und zur Belohnung bekommt ihr nach dem Supermarkt-Fasten den Kalender der Alternativen zugeschickt. Damit ihr nach der Woche fröhlich weiter regional einkauft, begleitet er euch durchs Jahr.
Also jetzt noch schnell auf www.aktion-agrar.de/supermarkt-challenge anmelden und Freund*innen einladen!
In der kommenden Woche werdet ihr hier auf der Webseite die Erfahrungsberichte von Melanie Kirk-Mechtel und Johannes Arens lesen. Zwei Blogger*innen die ebenfalls die Challenge angetreten haben und ihre Nachbarschaften in Bonn und Köln erkunden werden. Wir sind gespannt!
stay in touch: Falls ihr Fragen habt oder uns Rückmeldung geben wollt, schreibt uns eine EMail an alternativen@aktion-agrar.de, schreibt ein Kommentar in das Facebook-Event, und verlinkt oder teilt eure Fotos auf Instagram mit uns @jahrderalternativen.
Wir wünschen Euch jede Menge Spaß und Genuss in dieser regionalen Woche!
Die Supermarkt-Challenge ist Teil des Jahr der Alternativen bei dem Aktion Agrar von April 2018 bis April 2019 jeden Monat eine konzernfreie Einkaufs-Alternative vorstellt. Das Ganze ist angereichert Tipps, Rezepten und Selbstversuchen, damit das Einkaufen ohne Supermarktketten – oder den neuen Anbieter Amazon fresh – endlich zur Routine wird. Hinzu kommen Veranstaltungsformate, die Du auch selbst mit Freund*innen auf die Beine stellen kannst.