Die Backstube als Teil der Wertschätzungskette

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Ein Interview mit Anke Kähler, Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende des 2011 gegründeten Zusammenschlusses von handwerklichen Bäckereibetrieben ‚Die Freien Bäcker e.V.‘

Ihr verpflichtet euch in eurem Leitbild zur „Verantwortung für die gesamte ‚Wertschätzungskette‘ vom Saatgut bis zum Brot“. Wie machen Bäcker*innen das?

Sie gestalten den Einkauf ihrer Rohstoffe so regional wie möglich. Wenn möglich direkt beim Bauern, einer Erzeugergemeinschaft oder Mühle in der Region.
Da in unserer unabhängigen Berufsorganisation ökologisch wie konventionell arbeitende Betriebe organisiert sind, betrifft dies Rohstoffe aus dem ökologischen und konventionellen Anbau.

Dabei spielt auch die Langfristigkeit und Verlässlichkeit zu den genannten Partnern eine wichtige Rolle. Da wir uns als Organisation seit Jahren mit dem Thema Saatgut und Saatgutsouveränität aktiv auseinander setzen, reden die Bäcker mit ihren Lieferanten z.B. auch über das verwendetet Saatgut.

Vor kurzem haben wir zum dritten Mal unsere gemeinschaftliche Aktion ‚Saat Gut Brot‘ durchgeführt. Der Erlös der verkauften Aktionsbrote wird von den BäckerInnen direkt an den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft gespendet und kommt den biologischen Pflanzenzüchtern zu Gute. Dabei geht es nicht nur um die Unterstützung der gemeinnützigen Züchtungsarbeit, sondern auch darum, unsere KundInnen auf den folgenschweren Verlust an Biodiversität auf dem Acker und den Verlust an Saatgutsouveränität aufmerksam zu machen.

 „Ich geh mal Brötchen holen“ heißt heute für viele Menschen, die in den nächsten Supermarkt eilen und dort Brötchen aus einem Selbstbedienungsregal fischen. Was ist der Unterschied zwischen handwerklich gebackenen Brötchen und diesen?

Die Brötchen aus der Klappe werden tiefgekühlt als Teigling oder vorgebackenes Produkt in die Filialen gefahren. Um jederzeit gleichbleibende Produktqualitäten gewährleisten zu können, müssen die industriell arbeitenden Lieferanten dabei auf standardisierte Rohstoffe und zahlreiche Backhilfsstoffe setzen. Zu den Hilfsstoffen zählen z.B. technische Enzyme, die in der Regel mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt werden. BäckerInnen, die ihr Handwerk beherrschen, sind in der Lage mit den natürlich schwankenden Backqualitäten kleinerer Chargen von regional angebauten Rohstoffen – ohne isolierte Backhilfsstoffe – zu arbeiten. Sie gleichen z.B. unterschiedliche Kleberqualitäten beim Weizen oder unterschiedliche Quell- und Verkleisterungseigenschaften beim Roggen durch die Anpassung backtechnischer Verfahren aus. Technische Enzyme und alle weiteren erlaubten isolierten technischen Hilfsstoffe setzen die zertifizierten Betriebe unserer Organisation nicht ein. Uns ist wichtig, uns unser Know-how und unsere Unabhängigkeit nicht durch industriell hergestellte Vorprodukte und Hilfsstoffe aus der Hand nehmen zu lassen und jederzeit vollständige Transparenz über die verwendeten Rohstoffe und Herstellungsprozesse herzustellen.

Wie geht es den Bäckereien? Was sind aktuell die größten Herausforderungen für das Bäckereihandwerk?

Die handwerklichen Betriebe stehen unter enormem Druck. Zum einen durch die zunehmende Flut an Reglementierungen und Kontrollen, zum anderen durch Wettbewerbsverzerrungen zu Gunsten industrieller Fertigung. Die externalisierten Kosten industrieller Lebensmittelherstellung stehen ja leider nicht am Selbstbedienungsregal. Diese Situation betrifft aber nicht nur die Lebensmittelhandwerker sondern alle Handwerksbereiche, auch Tischler, Elektriker, Ofenbauer, Steinmetze. Die klassische „Lösung“ die auch dem Handwerk vorgeschlagen wird heißt, weichen oder wachsen und investieren. Das ist meist nicht der richtig Weg. Die Betriebe verschulden sich über Jahrzehnte und kommen oft aus dem Hamsterrad, des immer billiger und immer mehr produzieren Müssens nicht mehr raus. Die Arbeitsbelastung im Handwerk ist hoch, darüber klagt kein Handwerker, doch die zusätzlichen Reglementierungen bringen das Fass zum überlaufen. Hier eine neue Verordnung zu Acrylamid, zum Salzgehalt im Brot, neue Kassensysteme um auch ja noch den allerletzten Cent für die Steuer zu erfassen. Für den Kauf einer solchen Registrierkasse und die betriebliche Einbindung müssen kleinere Betriebe ewig arbeiten. Wer, wie z.B. Marktbeschicker, Ausnahmeregeln in Anspruch nehmen will, muss ständig Dokumentieren. Die Auflistung der Auflagen ließe sich lange fortsetzen. Wir haben uns ein System geschaffen, dass uns entmündigt – das Handwerk, pflegerischen Berufe …uns als Bürger. Vermeintliche Sicherheit und Effizienz (alles muss immer billig werden) geht zu Lasten unserer Lebensqualität.

Die Bundesregierung fördert die Züchtung von Hybridweizen. Was war Deine erste Reaktion als Bäckerin und Vorstand der Freien Bäcker, als Du davon gehört hast?

Erneutes Erstaunen über mangelnden politischen Weitblick und Mut, über politischen Dünkel und den ungebrochenen Glauben an wirtschaftliches Wachstum und die dazugehörige Technologieführerschaft. Dass alles Wissen über unsere planetaren Grenzen in den Wind geschlagen werden, zeigt, wie stark die Lobbyarbeit der Saatgut- und Chemiekonzerne ist, sowie ihre ganz subtile Durchdringung wissenschaftlichen Einrichtungen und Behörden. Die Forschungsförderung von Hybridweizen und ihre Folgen stoßen aber bei Weitem nicht nur bei den Mitgliedern unserer Organisation auf klare Ablehnung.

Im Verein habt ihr Mitgliedsbäckereien, die ausschließlich ökologische Backwaren herstellen und konventionelle: Wie reagieren sie auf die Hybridweizen-Pläne? Welche Aspekte sind Euren Mitgliedern besonders wichtig?

Die meisten wussten erstmal nichts davon. Der übervolle Alltag erlaubt es doch keinem, alle Nachrichten und Infos zu verfolgen. Dann wissen selbstverständlich einige auch nicht, was überhaupt Hybridweizen ist.
Ich finde, Themen wie Saatgut und die Erzeugung von landwirtschaftlichen Rohstoffen gehört z.B. in die Ausbildung von Lebensmittelherstellern! Es kann nicht sein, dass man einen Hauptrohstoff einkauft über dessen Erzeugung so wenig in der Aus- und Weiterbildung vermittelt wird. Wer sich mit der aktuellen Entwicklung im Bereich Saatgut und der Bedeutung von nachbau- und regional anpassungsfähigem Saatgut beschäftigt, versteht aber schnell um was es jetzt geht. Für traditionelle und biologische Pflanzenzüchter wird es immer schwieriger an Zuchtmaterial zu gelangen.
Patente auf genetische Ressourcen, auf Kulturpflanzen die Bäuerinnen und Bauern in Jahrtausenden geschaffen haben verhindern den Zugang. Mit der Privatisierung von Allmenden wird schrittweise der Boden der Demokratie verlassen.
Noch gibt es in Deutschland nachbaufähigen Weizen. Sobald diese gegen Weizenhybriden ersetzt werden, haben eine knappe Handvoll Saatgutkonzerne die Bauern und damit auch die Müller, Bäcker und Verbraucher in der Hand. Damit sinkt unsere Versorgungssicherheit, die durch viele unterschiedliche, fruchtbare also nachbaufähige und an Boden und Klimawandel anpassungsfähige Sorten gewährleistet wird. Skandalös ist, dass diese kolossale Fehlentwicklung mit unseren Steuergeldern finanziert wird.

Kennst Du Alternativen, die Mut machen?

Zum Beispiel die Bäckerei eines Kollegen in Lichtenfels-Sachsenberg, in Nordhessen. Er stellt sukzessive um auf ökologische Rohstoffe. Hat sich mit Bauern aus dem Dorf getroffen, die nun für ihn biologisch gezüchtetes Getreide anbauen. Zum Auftakt der Aktion Saat Gut Brot gab es auf seine Initiative hin einen Gottesdienst in seiner Backstube. Er hat in der Backstube Filme zu Thema gezeigt, sich mit den Landfrauen zusammengesetzt. Und vor allem: Im Dorf passiert etwas. Die Bäckerei ist ein wenig zum lebendigen Mittelpunkt im Dorf geworden.

Wie geht die Auseinandersetzung für Euch weiter? Was stellt Ihr 2017 auf die Beine?

Wir wollen im nächsten Jahr eine Kampagne zum Thema ‚Fusion von Bayer und Monsanto‘ und zur Hybridweizenentwicklung mitgestalten. Vor allem wollen wir aber Alternativen aufzeigen. Wir bereiten einen Bäcker-Block auf der WHES-Demo vor. Da die negativen Folgen der Industrialisierungsprozesse der alle Handwerker betreffen, wollen wir außer Bäckern, Metzgern und Molkern auch weitere Gewerke dafür gewinnen. Außerdem führen wir einen Fachkongress am 6. Februar in Winnenden durch. Am 30. April findet in der Markthalle 9 die „BrotZeit 2017“ statt: Da zeigen wir einen ganzen Tag, wie die Erzeugung und Herstellung von Lebensmittel anders geht und laden zum Mitmachen, Probieren und Diskutieren ein. Wir organisieren fachliche Weiterbildungsveranstaltungen, für BäckerInnen, aber auch für die PartnerInnen unserer Wertschätzungskette und vertreten die Interessen unseres Handwerks gegenüber der Politik.


Das Interview führte Jutta Sundermann
Bild: Privat