15. Mai 2020 Kommentare sind deaktiviert Michael Krack
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24 notwendige Maßnahmen für einen sozial-gerechten Umgang in Zeiten von Corona

Corona bekämpfen – und eine gute Zukunft für alle voranbringen!

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29. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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Marita Wiggerthale: Sie werden ihr Leben für Lebensmittel riskieren

Foto: In Huehuetenango in Guatemala verteilt Oxfam neben

Hygienesets zum Schutz vor Covid19 auch Nahrungsmittel

  Die Corona-Pandemie bedroht besonders Menschen, die bereits jetzt am Existenzminimum leben: Rund eine halbe Milliarde Menschen könnten in Armut stürzen. Die Zahl der akut Hungernden könnte sich bis Ende des Jahres verdoppeln. Und die Zahl der Menschen, die von Ernährungsunsicherheit und Unterernährung bedroht sind, könnte in Westafrika allein zwischen Juni und August von 17 Millionen auf 50 Millionen Menschen steigen. Oxfams Agrarexpertin Marita Wiggerthale erklärt, was getan werden muss, um die betroffenen Menschen zu schützen.

Das gab’s noch nie. Eine Pandemie, die überall auf der Welt grassiert. Grundrechte, die ohnegleichen beschnitten werden. Eine Wirtschaft, die allerorten erschüttert wird. Fast 2,7 Milliarden Menschen bzw. 81 Prozent der Arbeitnehmer*innen weltweit sind in irgendeiner Form von Sperren betroffen. Besonders hart trifft es die zwei Milliarden Menschen, die im informellen Sektor arbeiten.

Bilder aus Indien haben dies deutlich vor Augen geführt. Wer nur das am Tag verdiente Geld hat, um sich Lebensmittel kaufen zu können, steht mit leeren Händen da, verliert von einen auf den anderen Tag 100 Prozent seines Einkommens. Mehr als ein Viertel der Arbeit in der Landwirtschaft wird von Migrant*innen geleistet. Sie können kaum von ihrer Arbeit leben, setzen ihre Gesundheit aufs Spiel und haben keinerlei Sicherheit.

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Covid19 sind enorm. Sie könnten rund eine halbe Milliarde Menschen in Armut stürzen. Das Forschungsinstitut IFPRI prognostiziert, dass die extreme Armut weltweit um 20 Prozent zunehmen könnte, wenn die Regierungen nicht gegensteuern.

Besonders betroffen werde Subsahara-Afrika sein. Nach Angaben der Weltbank gab es das letzte Mal vor 25 Jahren eine wirtschaftliche Rezession in dieser Region. Die Landwirtschaft spielt dort als Wirtschaftssektor noch eine bedeutende Rolle. Der Anteil am Bruttoinlandprodukt beträgt beispielsweise in Burkina Faso 28 Prozent, in Burundi 29 Prozent und in Äthiopien 31 Prozent. Armut hat ein ländliches Gesicht, ungefähr 80 Prozent der Armen leben im ländlichen Raum. Menschen, die in Armut leben, haben keine Lobby. Dabei sind sie diejenigen, die am meisten von Krisen betroffen sind. Auch weil sie mehrfach benachteiligt sind. Ob in punkto Bildung, Gesundheitsfürsorge, Agrarberatung und Landrechte oder Straßenanbindung, Energie-, Wasser- und Internetversorgung.

Vor Ort funktionieren Lebensmittelmärkte häufig nicht mehr

Weniger als wenig Essen heißt hungern. Millionen Menschen sind von staatlichen Lebensmittelprogrammen und städtischen Essensausgaben abhängig. Sie reichen jedoch nicht aus, um die große Nachfrage zu bedienen, so die Weltgesundheitsorganisation.

In Nigerias Hauptstadt Lagos kämpfen Menschen erbittert um Lebensmittel­lieferungen, weil sie kein Essen zuhause haben. Einige gehen leer aus. Lokale Märkte wurden vielfach geschlossen ohne Alternativen sicherzustellen. Lebensmittel können dort weder gekauft noch verkauft werden. Dabei sind informelle Lebensmittelmärkte zentral für die Lebensmittelversorgung und für die Einkommen von informellen Händler*innen und kleinbäuerlichen Produzent*innen. Straßenverbindungen zu wichtigen Märkten wurden gekappt. Händler*innen kommen gar nicht oder weniger ins Dorf. Bäuerliche Produzent*innen bleiben auf ihren Lebensmitteln sitzen.

Besonders dramatisch ist die Situation bei verderblichem Gemüse. Das „Center for Sustainable Agriculture“ in Indien berichtet, dass die Einnahmen der Gemüseproduzent*innen im Vergleich zu 2019 um die Hälfte eingebrochen sind. Auch im Senegal und in Mali können Bauern und Bäuerinnen ihr Gemüse nicht verkaufen. In Ostafrika ist die Lieferkette für Reis unterbrochen. In den nächsten Wochen wird es einen Mangel an Reis geben, erklärt das Reisimportunternehmen Sunrice. Lebensmittel-LKW-Fahrer sind eigentlich von den Corona bedingten Beschränkungen ausgenommen, aber viele sorgen sich um ihre Sicherheit oder haben Angst vor Bußgeldern und Verhaftungen. Dennoch ist zu lesen, dass es bislang keine „bedeutsamen Unterbrechungen“ von Lebensmittelversorgungsketten gebe.

Nahrungsmittelkrise oder Ernährungskrise?

Wenn man die FAO fragt, ob es eine Nahrungsmittelkrise gibt, lautet die Antwort „Nein, noch nicht“. IFPRI analysiert, dass alle Voraussetzungen für eine globale Ernährungskrise gegeben sind und spricht bereits von einer Ernährungskrise. Das Welternährungsprogramm warnt vor einer Hunger-Pandemie. Fest steht, die Lage ist ernst.

Bereits jetzt reichen staatliche Lebensmittellieferungen nicht aus und Millionen Menschen haben kein Geld, um sich Lebensmittel leisten zu können. Folglich ist es richtig, von einer Ernährungskrise zu sprechen. Das Welternährungsprogramm schätzt, dass die Zahl der akut Hungernden sich bis Ende 2020 verdoppeln könnte. Laut der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) könnte die Zahl der Menschen, die von Ernährungsunsicherheit und Unterernährung bedroht sind, zwischen Juni und August 2020 von 17 Millionen auf 50 Millionen Menschen steigen. Betroffen sind all jene, die ohnehin am Rande der Existenz leben, wenig Geld verdienen und keinen finanziellen Puffer haben: Marktverkäufer*innen, Tagelöhner*innen, Plantagen­arbeiter*innen, Migrant*innen, kleinbäuerliche Produzent*innen und nomadische Viehzüchter*innen.

Die Menschen sind verzweifelt, wenn sie wie in Kenia durch die staatlichen Beschränkungen keinen Zugang zu Lebensmitteln haben. Sie werden ihr Leben für Lebensmittel riskieren. In Südafrika patrouilliert inzwischen das Militär, um zu verhindern, dass hungrige Menschen den „Lockdown“ durchbrechen! Wenn die Ausgangs- und Versammlungsbeschränkungen nicht wären, gäbe es vielleicht auch Proteste. Bilder aus dem Jahr 2008 kommen mir in den Sinn. Doch die Situation heute ist nicht mit der damaligen Nahrungsmittelkrise zu vergleichen.

Corona-Krise nicht mit Nahrungsmittelkrise 2008 vergleichbar

Ich habe in den letzten Wochen an mehreren Webinaren teilgenommen und die Entwicklung eng verfolgt. In der Welternährungsszene besteht Einigkeit darüber, dass die Situation heute nicht mit der Nahrungsmittelkrise 2008 vergleichbar ist. Damals explodierten die Nahrungsmittelpreise, international und in vielen Ländern des globalen Südens. Die Gründe: Ernteausfälle, Agrosprit, hohe Ölpreise und exzessive Nahrungsmittelspekulation. Exportverbote und Panikkäufe verschärften die Lage.

Heute gibt es genug Lebensmittel für alle, aber sie erreichen die Menschen nicht oder sie haben kein Geld, um sich Lebensmittel kaufen zu können. Es ist also eine „Zugangskrise“, während in 2008 die Lagerbestände sehr niedrig waren. Aktuell haben die Lagerbestände einen Anteil von 30 Prozent am weltweiten Getreideverbrauch, während im Jahr 2008 der Anteil 17 Prozent betrug und damit unterhalb der kritischen Grenze von 20 Prozent lag.

Inwieweit die Produktion durch Covid19 betroffen sein wird, lässt sich aktuell schwer beurteilen. Insgesamt werden gute Ernten vorhergesagt. Ältere, kleinbäuerliche Produzenten können im Krankheitsfall womöglich ihre Feldarbeit nicht verrichten. Im Unterschied zu 2008 werden bisher nur in wenigen Ländern Exportbeschränkungen bei Getreide verhängt. Damals war dies in 25 Ländern der Fall. Bei Weizen könnten allerdings Mitte/Ende Mai die Exportquoten in Russland ausgeschöpft sein, so dass dann ein Stopp von Exporten die Weizenpreise erhöhen könnte. Russland ist der größte Exporteur von Weizen. Auch bei Reis gab es zwischenzeitlich Exportbeschränkungen, die Vietnam eingeführt hatte.

Die Preisschwankungen haben bei Reis und Weizen entsprechend zugenommen. Sie bilden den Nährboden für die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln. Von einer Preisexplosion wie im Jahr 2008 sind wir aktuell noch weit entfernt. Arme Länder, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind, müssen aber bereits jetzt mehr Haushaltsmittel für diese aufwenden, weil der Dollar aufgewertet hat. Die internationalen Handelsgeschäfte mit Getreide werden in Dollar abgewickelt.

Steigende Lebensmittelpreise und fallende Erzeugerpreise

In mehreren Ländern sind die Lebensmittelpreise bereits gestiegen. Zwischen Februar und März 2020 stiegen die Preise für einige Grundnahrungsmittel in Äthiopiens Hauptstadt um 50-100 Prozent. In Westafrika sind in den meisten Märkten höhere Getreidepreise zu verzeichnen. In Ghana sind sie um 20-33 Prozent gestiegen, zum Beispiel bei Reis und Hirse. In Burkina Faso ist in wenigen Tagen der Preis für einen 100-Kilogramm-Sack Hirse von 16.000 auf 19.000 CFA gestiegen und die Kosten für einen Liter Speiseöl haben sich verdoppelt. In Mali sind die Preise bei Hirse und Mais gestiegen.

Auch in der Ebola-Krise im Jahr 2014 war es zu einem dramatischen Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln gekommen. Ein Ende des Preisanstiegs ist noch nicht in Sicht. Die Weltbank prognostiziert, dass in Subsahara-Afrika die Agrarproduktion um bis zu sieben Prozent und die Nahrungsmittelimporte um bis zu 25 Prozent zurückgehen werden.

Wie kritisch die Situation bereits heute ist, wird auch an den Maßnahmen mehrerer Länder deutlich. Anfang April haben nach Angaben der FAO sechs Länder Obergrenzen für Lebensmittelpreise eingeführt, nämlich Gambia, Honduras, El Salvador, Madagaskar und Ruanda. Sechs Länder gehen gegen überteuerte Lebensmittelpreise vor. Dazu zählen Bolivien, Kolumbien, Ekuador, Madagaskar, Mosambik und Südafrika. Indonesien und Philippinen haben Lebensmittel rationiert. Äthiopien hat preisstabilisierende Maßnahmen eingeführt. Nigeria hat Getreide aus der Reserve auf den Markt gebracht. Mauretanien hat die Zölle für Lebensmittel gesenkt. Kambodscha hat Lebensmittelexporte ausgesetzt.

Auf der anderen Seite prognostiziert die FAO, dass die Erzeugerpreise fallen werden und eine Agrarkrise droht. Aus Togo wird bereits berichtet, dass kleinbäuerliche Produzenten*innen für einen 50 kg Sack Avocados 33 Prozent weniger als üblich bekommen. Die Händler verweisen auf ihre höheren Transportkosten wegen der Covid19-Restriktionen. In Ghana ist der Preis für einen 100kg Sack Cashewnüsse um 40-50 Prozent gefallen.

Was ist jetzt zu tun?

Die Corona-Krise verschärft die soziale Ungleichheit. Die lokalen Märkte, die für die Ernährungssicherung eine zentrale Rolle spielen, werden geschlossen, während Supermarktketten geöffnet bleiben. Bäuerliche Produzenten bleiben auf ihren Lebensmitteln sitzen, während Unternehmen immer noch – wenn auch eingeschränkt – ihre Lebensmittel transportieren können. Die Lebensmittelpreise steigen, während gleichzeitig die Erzeugerpreise fallen. Höhere Margen werden von einigen Händler*innen bzw. Konzernen abgeschöpft werden. Die Preisschwankungen nehmen zu und bereiten den Nährboden für die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln. Die Corona-Krise offenbart die bestehenden Ungerechtigkeiten in der industriellen Landwirt­schaft und im konzerndominierten Ernährungssystem. Auch diese Ernährungskrise wird von Regierungen nicht gut gemanagt. Dabei ist das Wissen über die Ungleichheit gestiegen, das jetzt für zielgerichtete Maßnahmen genutzt werden könnte. Der UN-Welternährungsausschuss (CFS) wurde 2009 reformiert, auch um sich in Krisenzeiten zukünftig besser koordinieren zu können. Die nächste Sitzung im Oktober sollte sich deshalb der Corona-Krise widmen.

Was ist jetzt zu tun? Danielle Resnick von IFPRI plädiert dafür, informelle Lebensmittelhändler*innen zu unterstützen, statt zu verfolgen. Informelle Lebensmittelmärkte sollten unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen und größeren Abständen rund um die Uhr offen sein dürfen. Das gleiche gilt für Wasserstellen für die Tiere. Staatliche Stellen sollten möglichst Lebensmittel von bäuerlichen Produzenten aufkaufen, um sie gezielt an bedürftige Menschen abgeben zu können.

Bei allen Maßnahmen müssen soziale und ökologische Wirkungen im Sinne des „built back better“ berücksichtigt werden, um die soziale Ungleichheit zu reduzieren und die Umwelt zu schützen. Dies gilt für staatliche Hilfen, Stabilisierungsprogramme und Regeln für Wirtschaftsakteure inkl. Einhaltung von Arbeitsrechten. Lasst uns nicht zur Normalität zurückkehren, denn die Normalität war das Problem, fordert die Zivilgesellschaft weltweit. Maßnahmen zur sozialen Sicherung und zum Schutz besonders gefährdeter Menschen sind dringend erforderlich. Arbeiter*innen sollten menschenwürdige Arbeitsbedingungen ermöglicht und nicht hochgefährlichen Pestiziden ausgesetzt werden. Um die lokale und regionale Lebensmittelver­sorgung nachhaltig zu stärken, sollten gezielt agrarökologische Ansätze von kleinbäuerlichen Produzenten gefördert werden. Denn die Krisenanfälligkeit des Ernährungssystems wird bedingt durch die Klimakrise weiter zunehmen. Die größte Bewährungsprobe steht uns allen noch bevor.

 


Marita Wiggerthale ist Referentin für Welternährung und globale Agrarfragen bei Oxfam und hat diesen Artikel am 28.4.2020 auf oxfam.de veröffentlicht. Dort steht auch eine Kommentarfunktion zur Verfügung.

24. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Michael Krack
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WHES Plattformübersicht: Selber mitackern

Aus gegebenem Anlass wollen wir auf eine aktuelle Übersicht zur Mitarbeit in der Landwirtschaft aufmerksam machen. Das Bündnis „Wir haben es satt!“ hat viele Möglichkeiten zusammengestellt, die zwischen motivierten Helfenden und Landwirt*innen, die Hilfe auf dem Acker brauchen, vermitteln. Dabei werden die Vorgaben zur Eindämmung der Corona-Pandemie berücksichtigt. Wenn ihr also ganz praktisch mit anpacken könnt und wollt, werdet ihr hier bestimmt fündig:

https://wir-haben-es-satt.de/unterstuetzen/corona-helfen-in-der-landwirtschaft/

23. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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Benjamin Luig: Systemrelevanz ja, Arbeitsrechte nein?

Das Corona-Krisenmanagement in der Landwirtschaft findet auf dem Rücken der Beschäftigten statt

Wie unter einem Brennglas macht die Coronakrise deutlich, welche Arbeiten für unsere Gesellschaft essentiell sind. Nicht nur muss alles getan werden, um die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten und auszubauen. Auch die stabile Versorgung mit Lebensmitteln wird in den nächsten Monaten entscheidend sein. Das betrifft die Landwirtschaft genauso wie die Verarbeitung, die Logistik und den Einzelhandel. Die Bundesregierung hat dies in ihrer Kabinettssitzung am Montag bestätigt. Sie hat die Land- und Ernährungswirtschaft grundsätzlich als „systemrelevante Infrastruktur“ anerkannt. Damit macht sie deutlich, dass diese Wirtschaftsbereiche prioritär aufrechterhalten werden sollen. Die Einschätzung der Bundesregierung ist vor allem deshalb spannend, weil Tätigkeiten in Land- und Ernährungswirtschaft in prä-Corona-Zeiten gesellschaftlich nicht besonders stark honoriert wurden: Dass die spargelstechenden Saisonarbeiter*innen aus Osteuropa für ein paar Monate in engen Sammelunterkünfte zusammengepfercht werden, nahmen wir bislang hin. Die Streiks in der Ernährungswirtschaft bei Cargill in Riesa oder bei der Bäckerei ARTiBack in Halle vor wenigen Wochen schafften es kaum in die Medien. Und dass eine Supermarktkette wie Alnatura die betriebliche Mitbestimmung boykottiert, macht sie in den Augen vieler Konsument*innen nicht weniger „nachhaltig“.

Systemrelevanz autoritär

Was wird die anerkannte Systemrelevanz nun bedeuten? Auch wenn zu allen Fragen rund im die Landwirtschaft meist „die Bauern und Bäuerinnen“ in Gestalt des Präsidenten des Bauernverbandes Joachim Ruckwied in den Abendnachrichten zu Wort kommen, so ist die Landwirtschaft in Deutschland im Grunde nur zur Hälfte bäuerlich. Ca. 200.000 Menschen arbeiten fest angestellt in Agrarbetrieben. Hinzukommen ca. 300.000 Menschen, die in den arbeitsintensiven Monaten überwiegend aus Osteuropa zur Aussaat und Ernte nach Deutschland kommen. Mehr als die Hälfte der arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft sind also Lohnarbeiter*innen – und nicht Bauern und Bäuerinnen. Ein großer Teil von ihnen, die Saisonarbeiter*innen, drohen dieses Jahr aufgrund der Grenzschließungen und der gesundheitlichen Risiken in Deutschland auszubleiben. Die Arbeitgeberverbände einschließlich des Bauernverbands meldeten sich daher vor einer Woche zu Wort und forderten, den Mangel an Arbeitskräften im Kern durch zwei Maßnahmen zu beheben: Einerseits sollen Mindeststandards des bestehenden Arbeitsrechts ausgehebelt werden: Ruhezeiten sollen verkürzt, Höchstarbeitszeiten sollen verlängert werden. Andererseits sollen die Betriebe über die Ausweitung von Leiharbeit und Minijobs auf neue billige Arbeitskraft zugreifen können.

In die gleiche Kerbe haute vor wenigen Tagen Agrarministerin Klöckner, als sie Arbeitsminister Heil in einem Brief vorschlug, das Arbeitsverbot für Asylbewerber*innen für Aushilfstätigkeiten in der Landwirtschaft zeitlich befristet aufzuheben. Auch Arbeitskräfte deutscher Staatsbürgerschaft, die vorübergehend arbeitslos sind, könnten in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Am Montag beschloss das Kabinett nun ganz im Sinne der Forderungen der Arbeitgeber die „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit, die Ausweitung von Leiharbeit und Minijobs, und die zeitliche Ausdehnung der Möglichkeit einer Beschäftigung ohne Sozialversicherung.

Für Klöckner und den Bauernverband bedeutet die Systemrelevanz der Landwirtschaft also keineswegs, dass die Arbeit der Beschäftigten aufgewertet wird. Im Gegenteil: Im Kern geht es darum, in der gegenwärtigen Situation unter Aushebelung von Rechten und Standards auf billige Arbeit – primär von Migrant*innen zuzugreifen. Genauso sieht das auch der Grünen-Politiker Martin Häusling. Er fordert, dass die Bundesregierung unter allen Umständen die Einreise billiger osteuropäischer Arbeitskräfte sicherstellen muss. Die eigentlich naheliegende Lösung – den Lohn anzuheben und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, wenn diese zu unattraktiv sind, als dass Beschäftigte sie sich antun wollen – scheinen den oben Genannten nicht in den Sinn zu kommen.

Dabei liegen Optionen für konkrete Maßnahmen auf der Hand, damit Aussaat, Pflege und Ernte in den nächsten Monaten geleistet werden und dabei die Systemrelevanz der Angestellten in der Landwirtschaft anerkannt wird:

  • Erschwerniszulage: Zusätzlich zum Mindestlohn fordert die Gewerkschaft IG BAU eine Erschwerniszulage. Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, bringen sich angesichts der Ausbreitung des Coronavirus gesundheitlich in Gefahr. Sie müssen dafür zusätzlich zum Mindestlohn entlohnt werden. Da viele Agrarbetriebe wirtschaftlich unter Druck stehen, sollte die Bundesregierung diese Erschwerniszulage finanzieren.
  • Sichere Unterkünfte: Saisonarbeiter*innen leben in der Regel auf engstem Raum in Sammelunterkünften. Für diese Unterkünfte wird ihnen oftmals ein erheblicher Teil ihres Lohns abgezogen. Das Verbot der Bundesregierung von Ansammlungen von mehr als zwei Personen muss auch für die Unterkünfte gelten. Notwendig sind Doppel- statt Sammelunterkünfte. Auch hier müssen die Betriebe von der öffentlichen Hand unterstützt werden, beispielsweise durch die Bereitstellung von Containerunterkünften mit angemessenen Standards.
  • Inspektionen auf Betrieben verstärken: Strikte Regelungen der Gesundheit am Arbeitsplatz müssen gerade zu Zeiten von Corona auf Betrieben sichergestellt werden. Arbeitsinspektionen auf Agrarbetrieben dürfen daher nicht zurückgefahren, sondern müssen mit neuen Formen, die den körperlichen Kontakt minimieren, hochgefahren werden.

 


Dieser Beitrag wurde von Benjamin Luig verfasst und am 24.3.2020 auf rosalux.de veröffentlicht. Benjamin Luig hat von 2016 bis 2019 das Dialogprogramm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung geleitet. Aktuell lebt er in Berlin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Arbeitsrechten in der Landwirtschaft.

23. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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PM: Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft

Sorge um krisensichere Ernährung schweißt zusammen

Pressemitteilung vom 23.04.2020: Bundesverband der Regionalbewegung e.V., Marktschwärmer Deutschland, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V., Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. und Ernährungsräte: Höchste Zeit für eine Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft

„Ist unsere Ernährung in Krisenzeiten gesichert?“, fragen sich derzeit viele Verbraucherinnen und Verbraucher zu Recht. Wie anfällig globale Lieferstrukturen sind, wird gerade immer deutlicher und wirkt wie Wasser auf die Mühlen der Regionalbewegung in Deutschland. Die Corona-Pandemie zeigt, wie verletzlich die arbeitsteilige Weltwirtschaft ist. Die Schwächen der globalen Handelsstrukturen werden nicht nur im Medizinbereich schmerzlich sichtbar. Auch an den globalen Nahrungsmittelmärkten geht es turbulent zu: Einige Länder verhängen Exportstopps oder versuchen große Mengen Reis, Weizen und andere Grundnahrungsmittel aufzukaufen und einzulagern. Die Akteure der Regionalbewegung, der Ernährungswende und der bäuerlichen Landwirtschaft plädieren daher für konkrete Maßnahmen hin zu einer Regionalisierung in der Ernährungswirtschaft.

Wie extrem der deutsche Markt von Im- und Exporten abhängt, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Insgesamt hat sich der weltweite Warenexport in den letzten 40 Jahren verzehnfacht, etwa ein Viertel aller in Deutschland erzeugten landwirtschaftlichen Produkte gehen in den Export. Eine bemerkenswerte Situation ergibt sich hier vor allem in der Milchindustrie. Während der Absatz im Lebensmittelhandel enormen Zuwachs erfährt, verlieren die großen Molkereien und Milchviehbetriebe in der aktuellen Krise ihren internationalen Absatzmarkt und somit ihre Wirtschaftlichkeit, die auf diesen Großstrukturen basiert. Aus Sicht der Regionalbewegung sind jedoch dezentrale Strukturen in der Nahrungsmittelgrundversorgung und in der Lebensmittelverarbeitung elementare Stabilitätsfaktoren nicht nur in Krisenzeiten. Die politisch  forcierte Exportorientierung und das Zerschlagen des regionalen Marktes mit dezentralen regionalen Wirtschaftskreisläufen zeigt hier deutlich das Marktversagen.

Dahingegen werden laut Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) rund zwei Drittel des in Deutschland verzehrten Gemüses importiert. Auch hier verlässt man sich auf den internationalen Markt ohne eine systematische Entwicklungsstrategie regionaler Strukturen mit regionaler Wertschöpfung vor Ort voranzutreiben. Die unabdingbare „Luftbrücke“ für osteuropäische Erntehelfer zeigt die fragilen Großstrukturen im Obst- und Gemüseanbau in Deutschland.

Eine Versorgung überwiegend aus regionalen Wirtschaftskreisläufen – und das weltweit könnte Regionen in Krisensituationen resilienter machen und durch lokale Wertschöpfung auch Kleinst-, kleine und mittlere Wirtschaftsbetriebe vor Ort stärken. Daher drängen der Bundesverband der Regionalbewegung e.V., die Marktschwärmer Deutschland, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V, das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. und Ernährungsräte gemeinsam auf eine Regionalisierung und damit De-Globalisierung in der Ernährungswirtschaft. Bund und Länder sind hier gefragt, Regionalisierungsstrategien gemeinsam mit den relevanten Praxisakteuren der Land- und Ernährungswirtschaft zu entwickeln.

Die jetzt zu ergreifende Chance ist es, den Aufbau von regionalen Nahversorgerstrukturen systematisch zu unterstützen. Die Resilienz der Kommunen und Regionen wird nicht nur im Medizinbereich eine tragende Rolle spielen müssen. Der Erhalt und Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe für eine hohe Wertschöpfung in den Regionen und eine weitgehende Unabhängigkeit von globalen Handelsstrukturen sind Voraussetzung für eine zukunftsträchtige und krisenfeste Daseinsvorsorge – eine Pflichtaufgabe für Kommunen, für deren Rahmenbedingungen Bund und Länder sorgen müssen.

Konkret bietet die Regionalbewegung mit ihrem Netzwerk der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ der Bundesregierung und des Bundeslandwirtschaftsministeriums die
aktive Mitarbeit und Beratung zur Sicherung und dem innovativen Ausbau der Nahversorgerstrukturen im regionalen Wirtschaftskreislauf an. Die Bedeutung dieser Zukunftskommission sollte jetzt auch den höchsten Entscheidungsgremien bewusst geworden sein. Gleichzeitig empfiehlt die Regionalbewegung ein „Bundesprogramm Regionale Wertschöpfung“ aufzulegen, das nicht nur Lippenbekenntnis für die Kleinst-, kleinen und mittleren Betriebe der Ernährungs- und Landwirtschaft ist, sondern adäquat mit Finanzmitteln ausgestattet ist, um über eine Gießkannenförderung hinaus Teil eines zukünftigen, systemrelevanten und resilienten Ernährungssystems zu werden.

 

https://www.regionalbewegung.de

22. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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Daniela Windolff: Vielfältige Jungpflanzen aus Greiffenberg

Alles Handarbeit: Lea Marie Walter ist vorsichtig beim Pikieren der Jungpflanzen in der Schaugärtnerei des Vern in Greiffenberg. Acht verschiedene alte Salatsorten werden im Gewächshaus vorgezogen. Im Gartenbau bedeutet Pikieren das Verpflanzen von zu dicht stehenden Sämlingen auf größere Abstände. Foto: Oliver Voigt
Dieser Beitrag von Daniela Windolff erschien am 07.04.2020 in der Märkischen Onlinezeitung (MOZ). Danke, dass wir ihn hier veröffentlichen können.

Ansturm der Hobbygärtner in Greiffenberg

Greiffenberg: Sieglinde, Desiree, Gunda, Linda, Bintje… eigentlich hätten sie Anfang April ihren großen Auftritt, herausgeputzt und schön dekoriert, Interessenten den Hof zu machen. Doch Corona macht den Schönheiten einen  Strich durch die Rechnung. Die öffentliche Präsentation der alten Kartoffelsorten beim  traditionellen Pflanzkartoffeltag der Greiffenberger Schaugärtnerei fällt aus. Doch die Sorge des Vereins zur Renaturierung und Erhaltung alter Nutzpflanzen Brandenburg, kurz Vern, nun durch die Corona-Beschränkungen auf ihren mühevoll herangezogenen Knollen und Jungpflanzen sitzen zu bleiben, ist unberechtigt.

Lust auf alte Sorten wächst

Im Gegenteil: „Wir erleben einen nie dagewesenen Ansturm von Hobbygärtnern und kommen an unsere Grenzen“, erzählt Vern-Mitglied Katrin Rust, die für die fachliche Gärtnereiarbeit verantwortlich ist. Die Schaugärtnerei hat inzwischen ihre Vermarktung komplett auf ein Bestellsystem per Telefon oder E-Mail umgestellt und schafft es kaum, die Flut an Bestellungen abzuarbeiten. „Viele Leute sind jetzt zu Hause,  haben mehr Zeit für den Garten und wollen nun auch mal versuchen, Kartoffeln und Gemüse selber anzubauen. Die Lust auf alte Sorten nimmt in der Bevölkerung erfreulicherweise immer mehr zu“, sagt Katrin Rust.

Die alten Kultursorten, von der Kartoffel, über Tomaten bis zu Kräutern und Zierpflanzen wieder populärer zu machen und durch Anbau vor dem Vergessen zu retten und sie zu erhalten, ist das ureigenste Interesse des gemeinnützigen Vereins, der seine Arbeit für Artenerhalt und Artenvielfalt nur aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und eben den Erlösen aus der Pflanzenabgabe finanziert. Doch so ein Ansturm ist für die fünf Mitarbeiter momentan kaum zu stemmen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Corona-Krise zwei Mitarbeiter ausfallen. Eine junge Mutter muss ihr Kind zu Hause betreuen, weil die Kita geschlossen ist, eine ältere MAQT-Kraft wurde abgezogen. Doch gerade im Frühjahr fällt die meiste Arbeit in dem 4000 Quadratmeter großen Garten mit Freilandbeeten und Gewächshäusern an. „Wir haben ja Pflanzen ausgesät, bevor wir wussten, dass Corona kommt. Die Pflänzchen müssen nun pikiert, die Beete fürs Auspflanzen und Aussähen vorbereitet werden. Hinzu kommen die vielen Bestellungen, die sortiert und verpackt werden müssen. Wir haben viel mehr Bestellungen als in den Vorjahren, sind aber weniger Leute“, macht Katrin Rust das Problem deutlich. Die Mitarbeiter machen derzeit alle Überstunden.

Aus dem Nachbarort hat ein Freiwilliger seine Hilfe angeboten und bekam nun allein ein Beet, das er bearbeitet. Doch freiwillige Helfer einzustellen, sei keine einfache Lösung. „Wir müssen ja erstens auch für die Einhaltung der Abstandsregeln sorgen. Ins Haus darf zurzeit kein Fremder. In unserem großen Garten wäre das jedoch durchaus möglich, fünf, sechs freiwillige Helfer zu beschäftigen. Allerdings haben wir derzeit keine Zeit, gutmeinende aber völlig unerfahrene Helfer erst einzuarbeiten, wie sie Pflanzen pikieren oder Saatgut sortieren müssen. Wer uns helfen möchte, sollte möglichst Vorkenntnisse mitbringen“, sagt Katrin Rust.

Nach den Kartoffeln kommen die Tomaten. Ab 27. April werden Pflanzen in über 60 Sorten angeboten.

Versandlösung für Berliner

Ein Problem ist auch die Logistik, um die vielen Bestellungen liefern zu können. Für Selbstabholer werden Termine vereinbart. Die Kunden klingeln, die Ware wird vor die Tür gestellt, um Kontakte zu vermeiden. „Wir sind aber gerade auch dabei, eine Versandlösung, auch für Sammelbestellungen, vor allem für die Berliner zu finden, damit sie nicht nach Greiffenberg kommen müssen.“ Auf der Homepage des Vern werde aktuell über Bestell- und Liefermodalitäten informiert. Außerdem könne man dort die Liste aller Sorten mit Beschreibung einsehen, die nun auch mit Fotos ergänzt werden soll. Auch auf Facebook ist der Vern inzwischen präsent. Beratung zu Sorten und Anbau bietet Katrin Rust per Telefon an.

Ziele und Aufgaben des Vern e.V.

Der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg e.V., kurz Vern e.V., wurde 1996 gegründet. Mitglieder sind Privatpersonen, Landwirte, Gärtner, Institutionen und Vereine.

Die Schaugärtnerei in Greiffenberg erhält über 2000 alte Nutzpflanzensorten und bietet sie Hobbygärtnern und Betrieben an. Er erhält zudem das Wissen über den Anbau, den Umgang und die Nutzung der Kulturpflanzen.

Neben der Erhaltungsarbeit betreibt der Vern auch Öffentlichkeits-, Bildungs-, Beratungs- und politische Arbeit zum Erhalt alter Nutzpflanzen und kooperiert mit vielen Schaugärten und Partnern, wie Bio Company, Parkgarten Criewen, Tabakmuseum Vierraden, Lehmann-Garten Templin, Forstbotanischer Garten Eberswalde, Haus der Naturpflege Bad Freienwalde, Förderverein Teltower Rübchen, Domäne Dahlem und vielen anderen.

Kontakt: www.vern.de, Beratung: Katrin Rust, Tel. 033334 85101

20. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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Severin Halder: Aktion Post-Saatgut-Tauschbörse

Liebe Gärtner*innen,

um diese Jahreszeit gibt es immer viele schöne Saatguttausch-Börsen in Gemeinschaftsgärten oder Nachbarschaftzentren, aber dieses Jahr ja leider nicht.
Und dass obwohl einige Menschen gerade jetzt mehr Zeit als sonst zum Gärtnern haben und vielen von uns das Buddeln jetzt wohl besonders gut täte.
Damit wir also trotzdem Saatgut tauschen habe ich mir überlegt, dass ich euch gerne etwas aus meiner Saatgut-Sammlung per Post zukommen lasse.

Bei Interesse schickt mir einfach einen Brief mit einem kurzen groben Wunschzettel was ihr ungefähr gerne hätte samt einem frankierten Rückumschlag an folgende Adresse:

Severin Halder
Okerstrasse 12
12049 Berlin

Es ist ein Experiment also erwartet keine riesigen Mengen, vielleicht kommt etwas anderes als ihr bestellt habt und wahrscheinlich gehen nicht alle Samen auf
Im Allmende-Kontor war es von einigen Jahren unsere Idee einen „Saatgutspeicher“ anzulegen, der sollte aus Berliner Gemeinschaftgärten gespeist werden und durch Tausch wieder in die Gärten zurück fließen. Mit dieser Idee im Kopf habe ich die letzten Jahre bei verschiedensten Gartentreffen in Berlin sowie bei Treffen mit KleinbäuerInnen/Gärtnern anderstwo Saatgut gesammelt und getauscht. Das kunterbunte Ergebnis dessen lagert in einem Köfferchen und muss immer wieder ausgetauscht werden (damit es nicht zu alt wird, weil Sinn der Sache etc.).
Gerne könnt ihr mir auch welches schicken wenn ihr was abgeben wollt.

Falls ihr auch Saatgut sammelt und die Idee gut findet könnt ihr natürlich auch bei euch im Garten, in eurer Stadt, in eurer Region etc. was ähnliches starten, auch weil meine Kapazitäten und Saatgutauswahl leider beschränkt sind.

In Zeiten des Wandels sollten wir unsere Bausteine einer besseren Welt hegen und pflegen.
Also lasst uns den Frühling gemeinsam begrüßen, auf ein fruchtbares Gartenjahr!

Severin // Allmende-Kontor & kollektiv orangotango

18. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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Anke Kähler: Was die Bäckereien angeht

Wir sind systemrelevant!

Als systemrelevant gelten, spätestens seit Beginn der Corona-Krise: Gesundheitsversorgung, Apotheken, Altenpflege, Polizei, Energie- und Wasserversorgung, Müllabfuhr, Feuerwehr, Logistik, Lebensmittelgeschäfte, (seriöse) Medien … landwirtschaftliche Betriebe, Mühlen, Bäckereien, Molkereien, Metzgereien sowie weitere Lebensmittelproduzenten.

Dezentrale, regionale Strukturen erweisen sich als robust und verlässlich

Die Nachfrage bei den handwerklichen Mitgliedsbetrieben des Die Freien Bäcker e.V. hat ergeben:

Die Betriebsinhaber:innen berichten, dass sie auch jetzt, in Zeiten plötzlicher Nachfragespitzen, verlässlich mit Rohstoffen beliefert werden. Sie arbeiten alle langjährig mit regionalen Rohstofflieferanten zusammen, das heißt mit: landwirtschaftlichen Betrieben, Erzeugergemeinschaften, regionalen Mühlen und Händlern. So sind sie in der Lage, die in vielen Verkaufsstellen deutlich gestiegene Nachfrage von Brot und Backwaren zu decken.

Dies bedarf allerdings einiger Änderungen. Seit der 11./12. Kalenderwoche haben die Betriebe, wenn möglich, zwei komplett voneinander getrennte Produktions- und Verkaufsschichten eingeführt. Sollte es zur Erkrankung von Mitarbeiter*innen kommen, was bisher nicht der Fall ist, lassen sich so die Produktion und der Verkauf aufrechterhalten. Einige Betriebe haben Lieferdienste eingerichtet, um Menschen, die sich nicht auf den Weg in die Bäckerei machen können, zu versorgen. Der damit gestiegenen Arbeitsbelastung wird durch eine verringerte Sortimentsbreite begegnet. An dieser Stelle ist allen Mitarbeiter:innen in den Betrieben ein großer Dank auszusprechen, dass sie bei den Maßnahmen, die in dieser Ausnahmesituation notwendig sind, so entschlossen mitziehen!

Was die Nachfrage in den Bäckereien angeht, gibt es kein einheitliches Bild. An Standorten, die der Grundversorgung mit Brot und Kleingebäck dienen, ist – zurückliegend betrachtet – die Nachfrage spürbar gestiegen. Zum Teil wird von neuen Kunden und Kundinnen berichtet, die vorher noch nie in den Bäckerläden zu sehen waren. An Standorten in Bereichen von Innenstädten, mit einem großen Gastronomie- oder Café-Anteil, oder auf den Wochenmärkten ist der Umsatz deutlich eingebrochen. Lieferungen an Hotels, Gaststätten, Kantinen oder Schulen fallen aus.

Mühlenanlagen laufen rund um die Uhr

Die Müller:innen landauf landab sind durch die aktuell gestiegene Nachfrage nach Brot, Backwaren und Mehl so stark gefordert, dass einige sogar ihre Mühlenläden oder online-Shops schließen mussten. Mehr als rund um die Uhr arbeiten geht einfach nicht.

Beim Mehl gilt offensichtlich das Gleiche wie beim plötzlich so begehrten Toilettenpapier. Die Hamsterkäufe von Toilettenpapier, Nudeln, Mehl, Hefe und Kühltruhen sowie weiterer Waren lassen sich mit einem stark gestiegenen Sicherheitsbedürfnis, mit dem Wunsch, in der Krisensituation etwas aktiv tun zu können und mit Nachahmungseffekten erklären. Doch letztendlich kann der Warenverbrauch nicht höher sein, als in Vor-Corona-Zeiten. Deshalb lautet auch unser Appell, bei der Bevorratung Maß zu halten. Rohstoffengpässe gibt es nicht. Hingegen lässt sich die Arbeitskapazität von Lebensmittelproduzent*innen nicht unendlich steigern.

‚Too small to fail’

Vor gut 100 Jahren wurde das Motto „too big to fail“ (deutsch: zu groß zum Scheitern) als Synonym für den Begriff ‚Systemrelevanz‘ eingeführt. Damit wurden und werden große Unternehmen charakterisiert, die von so herausragender systemrelevanter Bedeutung sind, dass ihr Scheitern – wenn möglich – durch staatliche Maßnahmen verhindert werden soll.

Die Antwort auf die weltumspannende Krise – so die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte – muss endgültig anders lauten. Der Staat ist aufgefordert, robuste, widerstandsfähige (resiliente) Strukturen zur Sicherung der Existenz aller Bürger:innen zu fördern. Und dabei sind – wie bereits vor der Corona-Pandemie klar war – regionale Strukturen mit kleinsten, kleinen und mittleren Betriebe in funktionierenden, verlässlichen Wertschöpfungsketten von immenser Bedeutung.

Lasst uns unter dem Motto ‚too small to fail‘ gemeinsam und solidarisch, sozial-, umwelt- und klimagerechte Strukturen weiter entwickeln!

 

Autorin: Anke Kähler, Bäckermeisterin und Vorstand Die Freien Bäcker e.V.

17. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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Online-Gespräche: Ernährung ist Systemrelevant

Hamsterkäufe sorgen für leere Mehlregale, auf den Spargelfeldern fehlen die Erntehelfer*innen und manch eine*r fängt an, wieder regional einzukaufen. Doch welche Auswirkungen von Corona auf unsere Ernährung bleiben unsichtbar? Gibt es Weichen, die jetzt gestellt werden sollten?

Wir sprechen mit dem netten Café in der Innenstadt, dem Gemüsebaubetrieb am Stadtrand oder der Tafel, die sich neu organisieren muss – seid jeden Montag um 19:30 Uhr für ein knappes Stündchen dabei, hört zu, diskutiert mit und werdet aktiv für ein nachhaltiges Ernährungssystem! 

Wir laden alle Folgen auch auf Youtube hoch: https://www.youtube.com/user/JANUNvideo

 

Veranstaltet im Rahmen des Projektes EcoNa von JANUN e.V. – wir sind gespannt und freuen uns auf euch!

Jeden Montag, 19.30 Uhr auf Zoom 
Neue Woche, neue Perspektive: Wie gehen Landwirtinnen, Cafébesitzer und Tafel-Mitarbeiterinnen mit Corona um?
Hier könnt ihr teilnehmen: https://zoom.us/j/287926851
17. April 2020 Kommentare sind deaktiviert Gastbeitrag
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HERBiE: Alternativen für Saatgut und Jungpflanzen

Hallo Gärtner*innen!

Heute ist der 17. April, Tag des kleinbäuerlichen Widerstandes von La Vía Campesina, der globalen Organisation von Kleinbäuer*innen. Jedes Jahr wird an diesem Datum auf Ungerechtigkeiten und Konflikte im globalen Nahrungsmittelsystem aufmerksam gemacht, gleichzeitig die bestehende kleinbäuerliche Vielfalt gefeiert und auf deren Vorzüge gegenüber der industriellen Landwirtschaft hingewiesen.

Ein wichtiger Punkt bei einer kleinteiligen Landwirtschaft ist Saatgut, das der Idee der Saatgut-Souveränität entsprechen sollte. Konkret heißt das, es sollte eine lange Ernte-Periode haben, samenfest sein und selber reproduzierbar, regional angepasst und ohne künstlichen Dünger und chemischen Pflanzenschutz auskommend. Mit der konventionellen Landwirtschaft geht eine riesige Vielfalt an Sorten verloren, da es bei ihr eher darum geht, große Mengen möglichst universell verwendbarer, gleichförmiger Gemüse zu ernten für kurzfristigen Profit, anstatt eine langfristige Ernährungssicherheit und -souveränität im Blick zu haben.

Der Saatgut-Markt hat, ähnlich wie andere Wirtschaftszweige, in den letzten Jahren eine starke Konzentrierung erlebt und damit auch eine starken Rückgang der Agrar-Diversität.

Nun ist Frühling und viele stecken gerne die Finger in die Erde, haben eine Parzelle im Gemeinschaftsgarten um die Ecke, ein Beet bei Freund*innen, einen Vorgarten oder einen Balkon. Und es ist schade, wenn dort Hybrid-Saatgut ausgesät wird. Denn es gibt tolle Alternativen zu dem (oft spontan) im Supermarkt oder Baumarkt gekauften Hybrid-Saatgut großer Konzerne.

Hier eine kleine (unvollständige) Liste von Alternativen.

Nichtkommerzielle Pflanzen- und Saatguttauschbörsen, dieses Jahr leider wegen der Kontaktsperre kaum machbar – außer diesen hier.

> Kleinbäuer*innen-Aufstand mit Abstand für zwei Wochen (bis 30.4.)! Selbstorganisierte Pflanzen- und Saatguttauschbörse zum weltweiten Aktionstag von „La Vía Campesina“.

> Danach ab Donnerstag 30.4. 16:00 bis Montag 11. Mai könnt ihr weiter tauschen bei der kontaktlosen Pflanzentauschbörse am Gartenzaun des Gartens der Begegnung (Ludwig-Renn-Straße 33B, Marzahn).

Saatgut von kleinen Produzent*innen, in Berlin z.B. von Keimzelle, ist erhältlich in diversen Bioläden, z.B. Dr. Pogo Veganladenkollektiv, BioOase44 (Neukölln), Naturkost & Frauenkollektiv Kraut & Rüben(Kreuzberg) und Schnittstelle (nähe Hermannplatz); BioKraftKeller (Prenzlauerberg), Gemüsebutzke (Friedrichshain) wenn wieder offen auch im Prinzessinnengarten (Hermanstr) und an anderen Orten.

Biosaatgut im Biosupermarkt ist auch eine Option, aber doch besser kleine Läden unterstützen.

Online-Saatgut bestellen, z.B. bei Samenbau Nordost Kooperative Biosaatgut aus Meckpomm, Brandenburg und Sachsen; VEN – Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. ; VERN e.V. – Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen; eine kleine Auswahl an Saatgut gibt es außerdem bei bantam-mais.de/mitmach-aktion. Und beim Dreschflegel Saatgutversand, sie nehmen zur Zeit allerdings keine Bestellungen mehr an [Update: jetzt wieder].

Saatgut von open-source-lizenzierten Sorten kaufen.

So könnt ihr Saatgut als Gemeingut schützen. Bei den jeweiligen Sorten stehen die Bezugsquellen.

Dazu kommen noch andere spannende Projekte wie das Saatgutrad oder die Saatgut-Bibliothek (wie aktuell sie sind, weiß ich nicht genau).

Auch beim Gemüse im Bioladen können mit dem Kauf von samenfesten Sorten Bäuer*innen und Gärtner*innen unterstützt werden, die das alte Prinzip vom Gemeineigentum unterstützen. Damit kommt das Saatgut wieder in die Hände kommt, in die es gehört: die der Menschen, die Anbauen, und nicht in die der Konzerne, die damit rein profitorientiert ihr Monopol stärken.

Also, Augen auf beim Saatgutkauf und viel Spaß beim Gärtnern.

Gruß, H.