Wachstum und Welthandel – Milchpulver für die Welt

Was hat die Milch mit dem Wachstum zu tun?

Für Molkereien – alles! Die großen Molkereien in Deutschland und Europa stehen im ständigen Wettbewerb miteinander und sehen sich auch als starke Akteure auf dem Weltmarktakt.
Auf der Seite www.milchindustrie.de veröffentlicht der Branchenverband regelmäßig die TOP 10 und TOP 20-Listen für Deutschland, Europa und die Welt. Danach kommen die drei größten Molkereien der Welt aus Europa (Nestlé aus der Schweiz, Lactalis und Danone aus Frankreich). Die umsatzstärksten Molkereien in Deutschland – Arla, Friesland Campina, Deutsches Milchkontor und Müller – sind alle in den TOP 20 der Welt zu finden.

Milchpulver_Deutschlandkarte

 

Das Wachstum von Molkereien geht einher mit einem enormen Druck auf die Rohstofflieferanten, die begehrte weiße Flüssigkeit, billiger abzugeben als zuvor. Deutschlands Milchviehhaltung ist innerhalb Europas Industriealisierungsvorbild; hier ermöglicht immer aufwändigere Technik das Melken in riesigen Melkkarussellen und damit eine Kostensenkung, mit der Bauernhöfe ohne einen vergleichbaren Kapitaleinsatz nicht mithalten können. In einer erschütternden Dokumentation zeigte Arte Anfang 2014, dass in Frankreich Suizide unter Milchbauern zunähmen, weil sich diese vor dem Scherbenhaufen ihrer über Generationen gepflegten Kuhhaltung stehen sähen.
Wir haben mit vielen Bäuerinnen und Bauern in Deutschland gesprochen, die bitter von ihrer Erfahrung als Lieferant/innen von billigem Rohstoff berichten. Das ist nicht nur eine systematische Herabwürdigung der Arbeit von Menschen in der Landwirtschaft sondern auch das Wohlbefinden der Tiere verkommt vollständig zu einem Wirtschaftsfaktor.
Heute sind es die kleineren Betriebe, die darauf pochen, wenn schon von Milchleistung der Kühe gesprochen werde, sich dann auf die Lebensleistung zu beziehen. Während 1950 die Milchkühe etwa 3302 Kilogramm Milch im Jahr gaben, waren es im Jahr 2000 schon 6537 Kilogramm. Gleichzeitig hält die heutige „Hochleistungskuh“ diese Leistung nur noch 3-4 Jahre durch und wird dann geschlachtet. In dem Buch „Die Wegwerfkuh“ schildert die Journalistin Tanja Busse diese Problematik eindrücklich und auch das Sachcomic „Mensch. Macht. Milch.“ von Germanwatch verbildlicht die Gesamtproblematik des Wachstumswahns.

Die Forderung nach dem Ende der Steigerungen

Jetzt fordern die ersten Bäuerinnen und Bauern selbst: Es muss gelingen, von der Überproduktion weg zu kommen. Es braucht eine Qualitäts-Offensive statt einer weiteren Steigerung von Milchmengen und Milchexporten. Der niedrige Preis, der die Existenz von Bauernhöfen seit Monaten bedroht, ist für sie gerade allzu offensichtlich auch eine Folge des bewusst geschaffenen Überangebotes. Wer sieht, wie  Molkereien gigantisch große Milchpulveranlagen bauten, und sieht, welche globalen Folgen das hat, ist schon mitten im Wachstumsthema.
Der Ausweg aus der Wachstums-/Exportfalle muss viele Schritte beinhalten. Es braucht eine Förderung dezentraler, flächengebundener und tiergerechter Kuhhaltung. Mengenreduzierungen sind auch kurzfristig möglich – wenn die Bauern die Ernährung der Tiere umstellen, wenn Kühe zwischen den Tragzeiten  Pausen bekommen und längerfristig wirklich auf eine gesunde Lebensleistung gezüchtet wird.
Es braucht transparente Informationen für informierte Kaufentscheidungen. Vor allem aber müssen sich die politischen Leitbilder ändern. Dazu bestehen Chancen. In den letzten Jahren hat die deutsche Bundesregierung eine marktradikale Position in Brüssel vertreten. Als aus etlichen EU-Mitgliedsländern Vorschläge zur Reduktion von Milch-Mengen kamen, bestand Berlin weiterhin auf der Export-Perspektive. Nach wie vor ist sie nur eine von mehreren Möglichkeiten. Dass sie zudem eine schlechte ist, wird täglich deutlicher.

Eine Frage der internationalen Solidarität und Perspektive

In seiner Studie „Billiges Milchpulver für die Welt“ legt Germanwatch dar, wie zum Beispiel in Westafrika billiges Milchpulver aus Europa die Milchviehhalter im Land zerstört.
Der Wachstumswahn vernichtet aber auch bäuerliche Existenzen, wenn kein Milchpulver importiert wird: Die indische Bäuerin Sagari Ramdas erzählte Ende 2015 bei einer Tagung in Westerstede, wie die Wachstumsfalle auch über den indischen Milchviehhalter/innen zuschnappte.

Es ist Wachstumskritik für Fortgeschrittene:
In den 90 Jahren hatte es weitgehende Liberalisierungen im Milchmarkt Indiens gegeben. Trotzdem war man sich bewusst, dass Import von billigem Milchpulver die Bauern im Land gefährden würde. Die Milchbäuer/innen hatten es geschafft, einen öffentlichen Diskurs zu prägen, nach dem das Land die recht hohen Zölle gegen Milchpulver auf dem Ausland aufrecht erhalten muss. Auch die großen Molkereien im Lande zeigten sich da loyal. Sie wurden trotzdem größer und sprachen gerne von sich gut ergänzenden Strukturen. Dann war auf einmal viel zu viel billige Milch im Land im Angebot. So viel, dass viele kleine Betriebe aufgeben mussten, weil ihre Kund/innen wegblieben und für erschreckend kleines Geld die neue, in den Märkten abgepackt zu kaufende Milch erstanden.

Neun Monate Recherche brauchte die Allianz für Ernährungssouveränität, in der die Referentin aktiv ist, bis die Ursachen klar waren: Die indischen Molkereien hatten jahrelang selbst Milchpulver exportiert, vor allem in die indischen Nachbarländer. Als der Preis sich verschlechterte, entschiedenen sie sich, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und in Indien den Milchpreis massiv zu drücken. Sie ließen große Mengen des Milchpulvers wieder zu Milch anrühren und billig verkaufen.
Dass sich in diesem unsauberen Spiel auch internationale Milchkonzerne beteiligten, wie der französische Molkereiriese Lactalis, wurde den Inder/innen erst nach und nach bewusst.

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