Darum geht’s

Saatgut als Gemeingut – Sortenvielfalt statt Konzernmacht

Es geht um die Grundlage unserer Ernährung – das Saatgut, das eigentlich ein über Jahrtausende gewachsenes Gemeingut  ist und eine ganz wunderbare Eigenschaft hat: es vervielfältigt sich. Heute ist Saatgut ein Gewinnfaktor für einige wenige Unternehmen, die den Weltmarkt dominieren. Die meisten Samen sind durch technische Mechanismen, wie die Hybridzüchtung (mehr zu Hybridsaatgut hier), biologisch nicht mehr sortenfest vermehrbar oder durch rechtliche Mechanismen, wie Patente und Sortenschutz, nicht mehr frei zugänglich. Landwirt*innen müssen dieses Saatgut  jedes Jahr neu zukaufen. Gleichzeitig werden Bauern und Bäuerinnen weltweit zunehmend in ihrem Recht beschnitten, ihr traditionelles und regional angepasstes Saatgut selber zu vermehren, zu verwenden und zu verkaufen.

Derweil gehen Millionen Menschen weltweit gegen den Klimawandel auf die Straße, während Agrarministerin Julia Klöckner trockenresistente Gentechniksorten als Lösung präsentiert. Dabei wird uns der Klimawandel vor allem stark wechselnde Extremwetterereignisse bringen, einen Vorgeschmack darauf gaben schon der Regensommer 2017 und der darauffolgende Trockensommer 2018. Um dem zu begegnen brauchen wir Saatgut-Vielfalt, vielfältiges und anpassungsfähiges Saatgut und keine trockenresistenten Superspezialssorten, die durch teure Verfahren von wenigen Unternehmen nach Wirtschaftlichkeitskriterien gezüchtet und durch Patente kontrolliert werden.

 

Die aktuelle Situation im Saatgutmarkt und in der Saatgutpraxis

  • Weltweit ist in den vergangenen 120 Jahren rund 75% der Sortenvielfalt verloren gegangen, in Deutschland im gleichen Zeitraum sogar 90% der genetischen Vielfalt, also der Variation innerhalb der Sorten. [1]
  • Gleichzeitig geht das kulturelle Wissen darum, wie Saatgut vermehrt oder gezüchtet wird, fast schneller als die Sortenvielfalt selbst verloren. Viele ältere Menschen, die noch ihr Saatgut im Garten vermehrten, finden keine Interessierten, an die sie ihre Sorten und ihr Wissen weitergeben können. [2]
  • Ende der 70er Jahre hatte noch keine Saatgutfirma mehr als 1% des Weltsaatgutmarktes inne. Heute beherrschen die drei Konzerne − Bayer-Monsanto, Dow-DuPont und ChemChina-Syngenta − mehr als 60% des weltweiten Saatgutmarktes. Es sind die gleichen Konzerne, die 70% des Pestizidmarktes innehaben. [3]
  • Saatgut zertifizieren zu lassen ist teuer und Saatgutverkehrsgesetze sind weltweit, nach europäischem Vorbild, auf die Zulassung von einheitlichen Hochertragssorten ausgelegt. Die aktuellen Erhaltungsrichtlinien der EU, die die Zulassung und den Vertrieb von Pflanzensorten zur Erhaltung der genetischen Ressourcen erleichtern sollen, benachteiligen immer noch alte, bäuerliche Sorten, die nicht den Industrienormen entsprechen. Erhaltungssorten dürfen nur in ihrer geografischen Ursprungsregion erhalten werden und einen Marktanteil von 10% einer Art nicht überschreiten. Die sogenannten “Amateursorten”, die für den Anbau unter bestimmten Bedingungen gezüchtet werden und für den Erwerbsanbau als nicht wertvoll gelten, unterliegen beim Verkauf bestimmten Packungsgrößen.
  • Mit gentechnischen Verfahren erzeugte Sorten, aber inzwischen auch einige Ergebnisse herkömmlicher Züchtung, werden vermehrt mit Patenten geschützt. Dabei befinden sich 97% aller Saatgut-Patente in den Händen von Unternehmen aus Industrieländern, obwohl 90% der biologischen Ressourcen ursprünglich aus dem Globalen Süden stammen. [4]
  • Saatgutgesetze weltweit ignorieren oder kriminalisieren die alltägliche und vielerorts noch selbstverständliche Praxis von Bäuerinnen, Saatgut zu vermehren, zu tauschen und zu verkaufen. So wurden in Kolumbien ein Freihandelsabkommen mit den USA abgeschlossen, dass in der “Richtline 970” vorsieht, dass nur noch zertifiziertes Saatgut verwendet werden darf. Daraufhin wurden zwischen 2010 und 2012 vom kolumbianischen Institut für Landwirtschaft etwa 4.200 Tonnen bäuerliches, nicht-zertifiziertes Reis-, Kartoffel-, Mais und Weizensaatgut konfisziert und in einer Müllhalde verbuddelt! [5]
  • Selbst im ökologischen Landbau sind wir von einer flächendeckenden Verwendung von nachbaufähigen und ökologisch vermehrten und gezüchtete Sorten weit entfernt. Auch im Ökolandbau, bspw. im Gemüsebau, ist der Einsatz von Hybriden und konventionell vermehrtem Saatgut bisher die Regel und nicht die vermeintliche Ausnahme. Grund dafür ist auch, dass aufgrund der Ertragsschwankungen die Vermarktung und Verarbeitung samenfester Sorten schwieriger ist. Zudem ist die ökologische Züchtung im Vergleich deutlich unterfinanziert.
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Sortenvielfalt und Alternativen

Wir brauchen eine Wende in der Saatgutpolitik und -praxis! Seit Jahren setzt sich eine vielfältig aufgestellte Bewegung für Saatgutsouveränität, Sortenvielfalt und bäuerliche Saatgutsysteme ein. Erhaltungsinitiativen und kleine Züchtungsbetriebe gehen mit mutigem Beispiel voran, erhalten und vermehren alte Sorten. Sie setzen sich gegen Gentechnik ein und züchten in engem Kontakt mit Bäuer*innen anpassungsfähige Sorten. Konventionelle und Bio- Landwirt*innen vernetzen ihre Saatgutpraxis über Vermehrungsringe und engagieren sich für ihr Recht auf Nachbau. Hobbygärtner*innen erhalten im eigenen Garten alte Sorten und tauschen sie. Weltweit wird immer noch ein Großteil der Bevölkerung mit bäuerlichem Saatgut ernährt. Auf dem afrikanischen Kontinent wird noch etwa 80 bis 90 Prozent des Saatgutes von Landwirt*innen selbst produziert. Selbst in Deutschland werden immerhin noch über 50 Prozent des verwendeten Getreidesaatgutes von den Landwirt*innen selber aus der eigenen Ernte gewonnen. [6]Es mangelt nicht an vielfältigen Positivbeispielen.

Eine enkeltaugliche, nachhaltige Landwirtschaft, die mit den neuen Herausforderungen des Klimawandels zurechtkommt und gleichzeitig weniger Klimaemissionen verursacht, wird nur mit Sortenvielfalt und Saatgutsouveränität möglich werden.

 

So können wir es schaffen

Dabei ist  klar, dass viele landwirtschaftliche Betriebe unter enormen Produktionsdruck stehen. Ein Umschwenken in der Saatgutpraxis erfordert viel Mut, auch weil dies oft mit kurzfristigen Ertragsverlusten einhergeht. Die Spezialisierung und Arbeitsteilung zwischen Anbau, Saatgutproduktion und Züchtung im Saatgutsektor ist dabei nicht prinzipiell schlecht, sofern sie Bäuer*innen die Arbeit erleichtert und anpassungsfähige und vielfältige Sorten hervorbringt. Problematisch ist sie nur, wenn Gesetze, finanzielle Zwänge oder andere Faktoren Landwirt*innen dazu drängen, Saatgut zu kaufen anstatt es selbst zu vermehren und die Züchtung von internationalen Konzernen nach ökonomischen Kriterien definiert wird. [7]

Was kann ich tun

Eine Wende in der Saatgutpraxis bedeutet also Aufwand für jeden einzelnen Bauernhof, Verarbeiter*innen und Lebensmittelhänlder*innen. Es braucht ein Umdenken bei Verbraucher*innen und Politik und vielfältigere Züchtungs- und Vermehrungsstrukturen. Wer Vielfalt fördern will, muss sie selber essen. Dafür brauchen wir faire Preise für die Erzeugung von Lebensmitteln und müssen die soziale Frage im Blick behalten. Uns ist es dabei wichtig, im Gespräch mit möglichst vielen Bäuerinnen und Bauern und Erhaltungsinitiativen Sortenvielfalt zu stärken und vielfältige bäuerliche Saatgutsysteme zu fördern.

Das haben wir vor

Dafür ist die Zeit reif, denn das neu gewählte EU Parlament und der neue Kommissar stehen vor der Verantwortung, die neue EU-Agrarpolitik für weitere sieben Jahre zu definieren und  für eine bäuerliche und vielfältigere Landwirtschaft die Weichen zu stellen–- Vielfalt vom Samenkorn bis zum Brot beim Bäcker. Die neue EU-Bio-Verordnung will ab 2021 die Regelungen zum Einsatz von ökologisch erzeugtem Saatgut im Ökolandbau verschärfen. Allerdings wird bisher nicht ausreichend ökologisches Saatgut produziert um die Nachfrage der Betriebe zu decken. Zudem mangelt es an Forschungsgeldern, um überhaupt geeignete Sorten für den pestizidärmeren Ökolandbau zu entwickeln. Dafür braucht es neue Strukturen! Erhaltungssorten könnten zum Schließen dieser Lücken beitragen, sind aber in ihrer Verwendbarkeit gesetzlich limitiert. Die EU-Gesetzgebung zu Erhaltungssorten- und Amateursorten   muss währenddessen seit 2013 evaluiert werden, was immer noch aussteht. Gleichzeitig drängt die Industrie, das letztjährige EU-Gerichtshofurteil über die Kennzeichnungspflicht von neuen Gentechnikverfahren wie Crispr-Cas aufzuweichen.

Unterschreib hier unseren Appell

Lasst uns Brücken schlagen zwischen der Saatgut- und der Klimabewegung. Zwischen Verbraucher*innen, Bäuer*innen, Züchter*innen und vor allem Landwirt*innen untereinander. Wir wollen uns vernetzen, streiten, austauschen, bilden, Saatgut vermehren und Vielfalt auf die Felder, die Gärten und die Straßen bringen. Weil wir keine Zeit zu verlieren haben, machen wir uns jetzt stark für die Förderung von ökologischer Züchtung und der Wissensvermittlung über Samenbau und dafür, von Landwirt*innen über vielfältige Saatgutpraxis zu lernen. Wir fordern eine konsequente Gesetzgebung für Sortenvielfalt und gegen einen Saatgutmarkt, der von Wirtschaftlichkeitsinteressen geprägt ist.

Lasst uns gemeinsam das Recht einfordern, über unsere Ernährung und unser Saatgut selbst zu bestimmen. Für Saatgutsouveränität und Ernährungssouveränität – zusammen auf zur Agrarwende!

Und wer jetzt richtig gepackt ist vom Thema Saatgut und tiefer in die Thematik einsteigen will, dem empfehlen wir das Buch “Saatgut – Wer die Saat hat, hat das Sagen” von Anja Banzhaff, erschienen 2016 beim oekom Verlag München.


[1]FAO (1996):Genetic erosion. In: FAO-Report »The State of the World’s Plant Genetic Resources for Food and Agriculture«, Rom FAO, 1996, S. 33-40 u.a.; und Prall, U. (2010): Genetische Vielfalt, geistiges Eigentum und Saatgutverkehr. Der Rechtsrahmen. In: Christ,M. (Hrsg.), 2010, S. 187-216

[2]Banzhaff, A. (2016): Saatgut – Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag München. S. 139-140

[3]Heinrich Böll Stiftung (2018); und Willing, U. (2019): Dringend und notwendig: Warum eine eigenständige Ökozüchtung? Workshop am 21.6.2019 auf dem Beats&Bohne Festival mit Oliver Willing von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft

[4]Germanwatch (2008): Germanwatch-Zeitung Hunger und Patente, 03/2008

[5]ICA (2011): Semillas ilegales destruidas. Pressemitteilung vom 26.08.2011; und RSLC (Red de Semillas Libres de Colombia)(2013): Documento de posición por la defensa de las semillas. Revista Semillas 53/54:56–57

[6]GRAIN, La Via Campesina (2015): Seed laws that criminalise farmers. Resistance and fightback. [www.grain.org/article/entries/5142-seed-laws-that-criminalisefarmers-resistance-and-fightback; 10.11.2015]. und Banzhaff, A. (2016): Saatgut – Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag München. S. 101

[7]Banzhaff, A. (2016): Saatgut – Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag München. S. 210