Gastbeitrag: Artenvielfalt für den Exit aus der Sackgasse

Wir freuen uns, Robert Brungerts Gastbeitrag über die Nutztierrassen-Vielfalt und das Hühner-Hof Projekt als Ergänzung zu unserer Saatgut-Kampagne hier vorstellen zu können.

Denn nicht nur die Kulturpflanzenvielfalt schwindet rasant, auch bei den Nutztierrassen, die sich über Jahrtausende als Teil der bäuerlichen Landwirtschaft geformt haben, geht die Vielfalt drastisch verloren. Viel Spaß beim Lesen!

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Nutztierrassenvielfalt und glückliche Hühner – Der Weg zurück zur nachhaltigen Landwirtschaft

Es ist noch nicht so lange her, dass ein Großteil der Bevölkerung auf dem Land lebte und in der Produktion von Nahrungsmitteln arbeitete. Das Leben war oftmals am Existenzminimum und von schwerer Arbeit geprägt. Kaum eine*r trauert dem nach. Gleichzeitig wird jedoch auch unsere heutige industrialisierte Landwirtschaft zum Problem. Böden erodieren, Nutztiere leiden und alte Kulturpflanzen und Nutztiere gehen für immer verloren.

Wenn wir unsere Böden und damit unsere Lebensgrundlage erhalten wollen, müssen wir die alten Kulturpflanzen und Nutztierrassen mit modernen ökologischeren und sozialen Agrarsystemen kombinieren. Die Umgestaltung dauert seine Zeit, weswegen es notwendig ist, bereits jetzt mit möglichst vielen Menschen/Verbraucher*innen mitzuwirken.

Industrialisierte Landwirtschaft – die Schattenseiten

Ob beim Saatgut oder Nutztieren: Agrarkonzerne züchten Pflanzen und Nutztiere, meist Hybride aus zwei stabilen Linien, die jedoch hohe Ansprüche an ihr Lebensumfeld stellen. Viele Feldfrüchte können nur noch mit großen Mengen von Spritzmitteln und Kunstdünger ihren Ertrag bringen und laugen die Böden aus. Aber auch die weiterentwickelten Nutztiere sind auf ihren Futtermix und ein computerüberwachtes Stallklima angewiesen, damit sie ihre Leistung bringen.

Mit diesen überzüchteten Kulturpflanzen und Nutztieren kann eine nachhaltigere Landwirtschaft nicht gelingen. Es braucht Kulturpflanzen, die beständig gegen Schädlinge und Krankheiten sind, sich gegen Unkräuter durchsetzen und mit weniger Dünger heranwachsen. Wird der Einsatz von Medikamenten und Futterzusätzen in der Landwirtschaft reduziert oder schwanken die Klimawerte, werden auch viele überzüchtete Nutztiere nicht mehr ihre Leistung bringen.

ABCD Hybridhühner

Ein einprägsames Beispiel für die industrialisierte Landwirtschaft ist die Hühnerzucht. Inzwischen stabilisieren die wenigen verbliebenen Konzerne jeweils vier Rassen auf reinerbige Zuchtlinien. Jede der vier Rassen bringt ihre Eigenschaften in die AB und CD Hybrid-Generation ein. Diese beiden Linien werden erneut gekreuzt, wodurch ABCD Hybridhühner entstehen.

Die Legelinie schafft über 320 Eier im Jahr, die Brüder dieser Hennen werden geschreddert, da sie nicht rentabel in der Mast sind. Ein Fleischhuhn wiederum wächst so schnell, dass die Knochen kaum noch mitkommen und wird nach 29 Tagen bereits geschlachtet. Diese überzüchteten Hühner sind sehr empfindlich und bringen ihre Leistung nur unter „guten Bedingungen“. Viele Masthühner leiden unter Osteoporose, viele Legehennen unter Eileiterentzündungen.

Ein weiteres unterschätztes Problem ist der schwindende Nährwertgehalt. Nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch Tiererzeugnisse aus der industrialisierten Landwirtschaft werden auf Masse, nicht auf Klasse getrimmt. Die Kalorien sind enthalten, die Vitamine und Spurenelemente schwinden jedoch. In der konventionellen Tier- und Pflanzenzüchtung spielt Geschmack als Züchtungsziel keine Rolle.

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Alte Kulturpflanzen und Nutztierrassen erhalten

Jede Region hat spezielle Böden, unterschiedliche Klimata und angepasste Ökosysteme. Damit gab es zwar in jeder Ecke Europas Hühner, diese waren aber überall anders. Genauso war es mit dem Gemüse, Getreide und auch weiteren Nutztieren. Die hiesige Bevölkerung hatte ein Interesse, all das zu erhalten, da sie davon lebte. In der heutigen Zeit sind es jedoch wenige Landwirt*innen, Züchter*innen und Engagierte, die mit vielen Stunden im Ehrenamt um den Erhalt von diesem Kulturgut kämpfen.

Die Agrarkonzerne wollen lediglich ihre Gewinne optimieren und nehmen dabei in Kauf, wenn altes Kulturgut für immer verloren geht. Die Rote Liste gefährdeter Haustierrassen ist bereits lang. Doch genau diese Artenvielfalt ist wichtig für eine vielfältige, regional angepasste und zukunftsfähige Landwirtschaft.

Hühner für jeden Anspruch

Es gibt in Deutschland derzeit 101 anerkannte Rassehühner, hier einige Beispiele. So gibt es Hühner mit ausgeprägtem Bewegungsdrang wie das Altsteirer und Sulmtaler aus der Steiermark oder das Augsburger aus Bayern. Es gibt Hühner, die widriges Wetter gewohnt sind und welche, die gerne nach Futter suchen. Dann gibt es wieder Hühner wie die Leghorn, die sehr gut legen, aber mit dem großen Kamm nicht für frostige Regionen taugen. Brahmas oder Cochins sind als schwere Hühner der asiatischen Linie ebenfalls empfindlicher, haben aber einen geringeren Aktionsradius.

Ein Großteil dieser Rassehühner sind Wirtschaftshühner, davon ein Teil Zweinutzungshühner. Diese eignen sich für die Produktion von Eiern und Fleisch. Wirtschaftsrassen haben alle spezielle Eigenschaften, mit denen sie sich für einige Regionen oder Haltungsformen besonders eignen. Viele dieser Rassen sind ideal auf ihre Ursprungsregion angepasst, ebenso wie viele alte Kulturpflanzen für gewisse Regionen oder Anbausituationen ihre Vorteile und damit Berechtigung haben.

Derzeit kommt es noch auf die Öko-Pioniere und die vielen Ehrenamtlichen an, um alte Kulturpflanzen und alte Nutztierrassen zu erhalten. Wer sich engagieren und informieren möchte, findet bspw. beim Hühner-Hof Projekt Informationen über alte Nutztierrassen. Neben den Rassebeschreibungen wird erläutert, wie sich Hühner im Garten oder auch auf alten Gehöften halten lassen. Die Hühnerhaltung ist nicht schwer und vieles lernt man mit der Zeit von ganz alleine. Projekte wie der Hühner-Hof helfen beim Start und tragen dadurch zum Erhalt alter Nutztierrassen bei.

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Wer sich direkt einmischen möchte

Auf WeAct läuft aktuell eine Petition, um dem unethischen Kükenschreddern von Millionen männlicher Küken ein Ende zu setzen:

https://weact.campact.de/petitions/retten-sie-50-millionen-kuken