Treckerfahren für alle

Noch immer prägen sehr unterschiedliche Geschlechterrollen das Bild der Arbeit auf landwirtschaftlichen Betrieben. Warum das Thema Geschlechtergerechtigkeit so aktuell ist und wie sich das Bild verändern kann – dazu diskutierten wir am Dienstag mit vier tollen Menschen, die sich seit vielen Jahren für die Rechte von Frauen und queeren Menschen in der Landwirtschaft einsetzen. Weil uns das Thema am Herzen liegt, schreiben wir heute darüber etwas ausführlicher.

Ein abgedunkelter Raum, ein aufmerksames Publikum und vier engagierte Frauen. Auf dem Podium: Rukmini Rao, die sich seit 40 Jahren in ihrer Heimat Indien für Frauen auf dem Land stark macht. Claudia Gerster, die einen vielfältigen Biobetrieb in der Nähe von Naumburg leitet, und Hanna Schwager vom emanzipatorischen Landwirtschaftsnetzwerk (ELAN) sowie Catharina Rubel von Aktion Agrar.

 

Podiumsdiskussion Frauen* in der Landwirtschaft

 

Wir sprechen über eine aktuelle Studie des Thünen-Instituts, die erstmals die desaströse Situation von Frauen in der Landwirtschaft in Zahlen packt: 72 Prozent der Frauen in Deutschland auf landwirtschaftlichen Betrieben entscheiden strategisch und unternehmerisch mit. Gleichzeitig sind nach wie vor sind fast 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in Männerhand. Damit bildet Deutschland auch im europäischen Vergleich ein absolutes Schlusslicht. Frauen tragen das volle Risiko mit, die volle Verantwortung und den Stress, haben aber eben häufig keine formalen Rechte und im Trennungsfall keine Absicherung im Alter. Die Studie haben wir am Ende des Newsletters verlinkt.

Die Ursachen für dieses krasse Missverhältnis sind vielfältig: Zum einen haben Existenzgründerinnen deutlich schlechteren Zugang zu Land und Kapital. Eine weitere wichtige Rolle spielen nach wie vor extrem konservative und traditionelle Rollenbilder auf landwirtschaftlichen Betrieben. Wir wollen keine Familien und Betriebsleiter:innen vor den Kopf stoßen, die umsichtig handeln. Die Studie fand zusammengefasst heraus, dass Mädchen auf Höfen weniger gefördert werden, Kompetenzen zu erlernen wie Trecker fahren oder Maschinen zu bedienen, sondern eher an „klassisch weiblich“ konnotierte Aufgaben wie Buchführung und Sorgearbeit herangeführt werden. Sofern es einen Sohn in der Familie gibt, wird der Hof in der Regel bevorzugt an diesen abgegeben. In der Summe führt dies dazu, dass auch heute nur ungefähr 18 Prozent der Hofnachfolger:innen weiblich sind.

Trotz der Studie, die erstmals eine Datengrundlage zu den geschlechtsspezifischen Besitzverhältnissen in Deutschland bietet, bleibt ein blinder Fleck: Wie sieht eigentlich die Situation queerer Menschen in der Landwirtschaft in Deutschland aus? „Queer“ steht dabei für Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren Geschlechtsidentität anders ist, als das Geschlecht das bei ihrer Geburt festgelegt wurde (z.B. trans- oder homosexuelle Menschen). Hanna Schwager von ELAN berichtete von Erfahrungen in ihrem Netzwerk:

Queere Menschen sind sehr oft Diskriminierungen ausgesetzt. Schwulen Auszubildenden wird weniger zugetraut, männlich konnotierte Aufgaben wie Trecker fahren zu übernehmen. Trans-Menschen werden auf dem Land angefeindet. Das macht es schwierig für sie, in der Landwirtschaft und in ländlichen Gebieten zu bleiben. Trotzdem gibt es dazu bisher leider keine umfassenden Erhebungen.

Rukmini Rao stellte fest, dass die Lange für Queers und Frauen in Indien sehr ähnlich ist. Frauen haben zwar rechtlich garantierten Zugang zu Landeigentum, trotzdem sind sie in der Realität selten Eigentümerinnen. Und das, obwohl ungefähr 70 Prozent aller Frauen Indiens in der Landwirtschaft tätig sind.

Das klassische „Familienbetriebsbild“ mit Landwirt + Landwirtsfrau und Kindern gibt es aber in Indien weniger. Dort sind es oft Frauen, die im Haupterwerb in der Landwirtschaft bleiben, während die Männer für Erwerbsarbeit in Ballungszentren abwandern. In Deutschland sind es gerade die Frauen, die neben der Arbeit auf dem Betrieb, der Haus- und Sorgearbeit auch noch extern arbeiten gehen. Der Grund: Das Einkommen reicht nicht aus und ohne Sozialversicherung sieht es mit der Rente schlecht aus. Das führt unter anderem dazu, dass ungefähr 1/3 aller Frauen in der deutschen Landwirtschaft Burnout-gefährdet sind, so die Studie.

 

Claudia Gerstner auf Podiumsdiskussion

Beim Podium waren wir uns einig: Es muss sich dringend etwas ändern – individuell sowie strukturell: Landwirtin Claudia Gerster erzählte, wie sie versucht, bei Veranstaltungen und Hofführungen ein anderes Bild von Landwirtschaft zu vermitteln und Teilnehmer:innen ihr oft Jahre später berichten, wie gut ihnen der Anblick einer Frau auf dem Schlepper tat und sie ermutigte.

 

Neben öffentlichen Förderprogrammen für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen (kurz: FLINTA*) könnte aber auch eine generelle Einkommensstabilisierung der Betriebe helfen, ökonomischen Druck und Arbeitsbelastung abzubauen und Raum zu schaffen, sich mit grundlegenden Themen wie Geschlechtergerechtigkeit auf dem Hof zu befassen.

 

Lehrer:innen in Schulen und Ausbilder:innen müssen dafür sensibilisiert werden, Frauen und Queers endlich genauso in allen Arbeitsbereichen auszubilden und zu unterstützen, die Diskriminierung aufzubrechen. Sichere Räume für den Austausch, in Betrieben wie auch in Netzwerken wie ELAN, sind hier unverzichtbar. Es geht darum, Aufgaben ohne Stereotypisierung und ohne Sexismus zu übernehmen, diskriminierungsfreier zu leben, arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Gleichzeitig müssen Männer aktiver Sorgearbeit übernehmen, um Frauen und Queers mehr Freiräume zu ermöglichen – und am besten für alle ist es, wenn diese allgemein fair entlohnt und für Rentenansprüche anerkannt wird.

Letztendlich reicht dies jedoch nicht aus. Patriarchale und andere diskriminierende Strukturen müssen nicht nur für eine zukunftsfähige, bäuerliche Landwirtschaft, sondern gesamtgesellschaftlich bekämpft werden. Dies sei auch wichtig, um der Klimakrise zu begegnen, betonte Catharina Rubel. Eine Voraussetzung dafür: Bessere geschlechtsspezifische Forschung und die Anerkennung, dass politische Maßnahmen nicht genderneutral sind – sowie politische Repräsentation von Frauen und Queers.

Trotz der deprimierenden Lage endete die Veranstaltung hoffnungsvoll. Lasst uns gemeinsam daran anknüpfen und die Situation positiv verändern!