Am Bahnhof Rotenburg an der Wümme treffen wir, wie verabredet, Jette – Agrarwissenschaftlerin und Maschinenbauerin von der Uni Witzenhausen. Von ihr und ihrem Projekt „E-Hack“ haben wir euch schon im letzten Jahr berichtet. Heute wollen wir mit ihr Martin und den Hof Grafel besuchen, um uns von ihm seine Werkzeuge und Maschinen Marke Eigenbau für den Gemüsebau zeigen zu lassen, die ihm bei der Arbeit für seine Solidarische Landwirtschaft unterstützen – unabhängig von Konzerntechnologie und angepasst an die Bedürfnisse kleinbäuerlicher Betriebe.
Ein Hof mit Geschichte – und Ideen für die Zukunft
Noch bevor wir mit Jette richtig ins Gespräch kommen können, fährt schon Martin mit seinem alten Hofauto vor. Zwischen Gemüsekisten und Kindersitz tuckern wir durch Rotenburg und hinaus in die flache und von Hecken und Alleen gesäumte Landschaft in Richtung Hof Grafel. Der Hof blickt auf über 400 Jahre landwirtschaftliche Tradition zurück und wird seit jeher von derselben Familie bewirtschaftet. Gegründet als Schäferei, kamen über Generationen Landwirtschaft und Imkerei hinzu. In den 1960ern folgte „Urlaub auf dem Bauernhof“, Anfang der 2000er Yoga-Retreats. Heute führen Kathrin und Martin den Hof in der zwölften Generation. Sie bieten achtsame Tierbegegnungen, Naturverbindungsarbeit – und eben auch eine solidarische Landwirtschaft mit Erfindungsgeist.

Auf dem Hof angekommen, erwartet uns ein runder Mittagstisch unter freiem Himmel. Kathrin hat für uns alle verschiedene Gerichte aus dem Gemüse der Solawi gekocht, die Sonne scheint und die Esel und Schafe grasen hinter uns. Gästezimmer, Folientunnel und Werkstatt sind nah bei der Küche. Es ist ein Ort, an dem Landwirtschaft, Technik und Gemeinschaft zusammenspielen.
Arbeitszeit runter, Rücken hoch
Am Tisch erzählt Martin, wie alles begann – mit ganz einfachen Fragen wie: „Warum hacken wir eigentlich noch immer gebückt?“ Für ihn war Basteln erst eine Notlösung für seine tägliche Arbeit im Gemüse, dann eine Philosophie. Wenn ein Gerät fehlt, wird es eben gebaut. Nicht unbedingt schön, aber funktional, flexibel, günstig – und perfekt angepasst. Statt teurer Spezialmaschinen setzt Martin auf Eigenbau mit Hirn und Händen. „Erfinden ist das Werk der faulen Leute“, sagt Martin lächelnd. Denn wer klug optimiert, muss weniger buckeln.
Das Prinzip heißt: Trial and Error statt komplexer Bauzeichnungen. Aus Teilen von elektronischen Schubkarren, alten Fahrrädern oder Rollstühlen entstehen hier neue Geräte – für den Acker, für‘s Beet, für die Bewegung. Jede Schraube erzählt eine Geschichte. Und mit Maschinen wie dem „Jäteflieger“ oder der E-Hacke wird die Arbeit einfacher, schneller – und vor allem rückenschonender.
Vom Tüfteln zur Bewegung: gemeinschaftlicher Gerätebau
Was als private Tüftelei für die Solawi begann, zieht heute Kreise. 2023 organisierte Martin die erste Erfinder:innen-Werkstatt auf dem Hof – ein Treffen, bei dem Menschen ihre selbstgebauten oder weiterentwickelten Werkzeuge vorstellten, ausprobierten und gemeinsam weiterdachten. Denn oft sind es gerade die einfachen Ideen, die andere inspirieren und weiterbringen.
Die Vision dahinter: solidarischer Gerätebau.
„Der Markt produziert, was Profit bringt – nicht unbedingt, was kleine Höfe wie unserer wirklich brauchen. ,“ gibt Martin zu Bedenken. Seine Werkzeuge unter dem Label „Selbstbau“ sind konkrete Lösungen für genau jene Betriebe, die von großen Konzernen ignoriert werden. Zu Martins Vision gehört eine stetig wachsendes Netzwerk – mit einem Wiki, Bauanleitungen, Erklärvideos, Workshops. Offen, niedrigschwellig, gemeinschaftlich.

Im Gespräch kommen wir auch auf das französische Kollektiv „Atelier Paysan“ als funktionierendes Vorbild für ein solches Netzwerk offener Technikentwicklung mit und für kleine Betriebe. Martin erzählt begeistert von deren Netzwerk aus Landwirt:innen, Ingenieur:innen und Handwerker:innen, die gemeinsam an praktischen, offenen Lösungen für die kleinstrukturierte Landwirtschaft arbeiten. Ihre Baupläne sind frei verfügbar, ihre Workshops fördern Wissenstransfer und Selbstermächtigung. Auch er holt sich Inspiration von deren Geräten und will auch für Deutschland in diese Richtung denken: ein Netzwerk von unten, das durch Teilen wächst – statt durch Wettbewerb. „So was brauchen wir auch hier viel mehr“, meint Martin – und es ist spürbar, dass er daran bereits mitbaut. Wir lassen uns von seinen Visionen anstecken und so träumen wir zusammen mit Jette und Martin von gemeinsam veranstalten Workshops.
Zwischen Schweißgerät und Schafweide
Nach dem Essen zeigt Martin uns seine Werkzeuge – darunter Erfindungen und Weiterentwicklungen. Er erzählt uns von den Entwicklungsprozessen, wo es hakte, was verbessert wurde und wie aus Provisorien praktikable und clevere Lösungen wurden. Wir sehen Hack- und Häufelkörper, ein Abflammgerät auf Basis eines Elektrorollstuhls, den legendären „Jäteflieger“ – und natürlich die E-Hacke mit Rückwärtsgang, die jener von Jette ähnelt, auch wenn sie unabhängig voneinander entwickelt wurden. Und wir dürfen selbst testen: Striegel, Hacke, verschiedene Aufsätze. In der Werkstatt bauen Martin und Gärtnereikollegin Anika aktuell an einer stabileren und leichter lenkbaren Version des Hack- und Häufelgerätes. Martin und Jette sind direkt in ein Fachgespräch versunken.
Auf dem Weg zum Folientunnel begegnen wir den tierischen Landschaftspfleger:innen des Hofs – Schafe und Esel. Und stoßen nebenbei über noch mehr Erfindungen: einen kleinen Pflanzwagen, selbstgebaute mechanische Tunneltore und -lüftungen, eine Gitterwalze mit Abstandshaltern für die Pflanzung.




Fotos: M. Lenzinger, J. Sundermann, T. Besser
Open Source im Schuppen
„Ach, apropos Digitalisierung“, ruft Martin und zeigt uns ein kleines unscheinbares Gerät im Schuppen. Es ist die Schaltzentrale von OpenSprinkler – einem Open-Source-Programm zur Bewässerungssteuerung. Martin steuert damit per Handy die Tunnel- und Freilandbewässerung: Zeitpläne, Intervall-Bewässerung, punktgenaue Steuerung. Das System kann über das lokale WLAN laufen – ohne zentrale Cloud, ohne Datenabfluss vom Hof. Gleichzeitig nutzt Martin ergänzend die praktische App-Steuerung über die OpenThings Cloud, die keine Daten speichert und rein als Fernzugriff dient. So bleibt er datensouverän – und kann trotzdem ortsunabhängig und flexibel auf das Wetter und oder Bedürfnisse der Kulturen reagieren.

Bevor es Abend wird verabschieden wir uns von Martin und Kathrin, um uns diesmal zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof zu machen. Was bleibt von diesem Besuch, ist das Gefühl, dass Zukunft nicht groß, glänzend und teuer sein muss. Sondern manchmal einfach aus alten Rollstühlen, mit offenen Bauplänen und nach gemeinsamen Ideen gebaut wird. Visionen eines starken, solidarischen Netzwerks aus Schrauber:innen und Landwirt:innen.