Ackerbesetzung in Neu-Eichenberg

Wir befinden uns im Jahre 2021. In Deutschland gehen jeden Tag 77 Hektar fruchtbarer Boden durch Versiegelung und Erosion unwiderruflich verloren… In ganz Deutschland? Nein! Auf einem von unbeugsamen Menschen besetzten Acker in Neu-Eichenberg wird unermüdlich Widerstand gegen den Bau eines Logistikzentrums geleistet. Warum? „Weil wir den Boden vor Versiegelung schützen wollen. Weil wir das Klima vor noch mehr LKW-Verkehr schützen wollen. Weil wir den Acker als Lebensraum für Pflanzen, Insekten, Vögel und mehr erhalten wollen. Weil ein Logistikgebiet der Gemeinde, der Region und unserem Planeten mehr schadet als nützt. Und weil all diese wichtigen Argumente zu wenig Gehör finden.“

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Eine mittelkurze Chronik – wie alles anfing…

2002 wird die Idee eines Industriegebietes geboren: eine Investorin zeigt unverbindliches Interesse an Flächen in Neu-Eichenberg. Die Investorin springt ab, die Gemeinde lässt nicht locker– mit Planungskosten in Höhe von rund 1 Mio. €.

2009 wird ein Bebauungsplan für ein „Sondergebiet Logistik“ auf dem 80 ha Acker beschlossen. Dann ist Ruhe vor dem Sturm. Anfang 2018 kommen die Pläne wieder auf, da die Dietz AG interessiert ist. „Es wurde eine Änderung des Bebauungsplans vorgenommen, die dann eher investor:innen- als bürger:innenfreundlich war“, erzählt Ranke von der Ackerbesetzung. Der Dietz AG soll die Entscheidung leichter gemacht werden.

„Im Zuge dessen hat sich dann auch mehr Protest gebildet: es hat sich Mitte 2018 die Bürger:inneninitiative „Für ein lebenswertes Neu-Eichenberg“ gegründet. Es wurden Einwände gegen die Änderungen am Bebauungsplan geschrieben, Argumentationsschriften und Leser:innenbriefe veröffentlicht, Proteste organisiert, es gab die Aktion „Rote Linie“ mit ca. 1.000 Menschen und mehr als 30 Traktoren um den Acker. Als sich abgezeichnet hat, dass das alles nicht hilft, hat sich eine Gruppe zusammengefunden, die auch mit der Bürger:inneninitiative und dem Landwirt, um dessen bewirtschaftete Flächen es sich handelt, schon in Kontakt war. Im Mai 2019 haben wir den Acker besetzt.“, erklärt Ranke.

Die Hessische Landgesellschaft als zuständige Verwalterin der Fläche, die nach wie vor Eigentum des Landes Hessens ist, duldet zunächst die Besetzung „Der Acker bleibt!“. Nach wenigen Wochen soll dann aber geräumt werden. Doch nichts passiert, der Acker bleibt. Von Landesseite heißt es: bis die Entscheidung über die Änderung des Bebauungsplans nicht abschließend getroffen ist, wird nicht geräumt.

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Ende Dezember 2019 hat die Dietz AG den Vorvertrag auslaufen lassen ohne zu verlängern – sie ist damit abgesprungen. Grund dafür: Das sich ziehende Verfahren und der Widerstand vor Ort.

Minze führt aus: „Es gab viel Bewegung in der Gemeinde. Im Januar 2020 wurde ein Moratorium, ein Planungsstopp, für ein halbes Jahr beschlossen. Die Zeit sollte genutzt werden damit der „Arbeitskreis Alternativen“ anderweitige Nutzungsmöglichkeiten für den Acker prüfen kann.Im Herbst/Winter 2020, also nach Ende des Moratoriums, wurde von der Gemeinde kommuniziert, dass der Bebauungsplan angepasst wurde. Der Plan sei, 50 ha zu versiegeln und 30 ha für Alternativen zur Verfügung zu stellen.“

Im Gespräch waren unterschiedliche Bewerber:innen, die sich bei einer Versammlung mit Alternativkonzepten vorstellen konnten, unter anderem „Land schafft Zukunft“, ein Photovoltaikprojekt, kleinere Gewerbegebiete, der Saatgutbetrieb Culinaris.

„Land schafft Zukunft“ ist eine Initiative in der sich Studierende der Agrarwissenschaften aus Witzenhausen mit Praktiker:innen aus Landwirtschaft und Gartenbau zusammengeschlossen haben um eine agrarökologische Alternative für die 80 Hektar zu entwerfen. Ihr Vorschlag beinhaltet u.a. Landwirtschaft in Form von Agroforst, Gemüsebau und Saatguterzeugung sowie Erzeugung von Strom und Biomasse zur Wärmegewinnung. Auch Naherholungsflächen sind angedacht. Auf der Domäne könnten sich Betriebe zur Verarbeitung und Vermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ansiedeln.

„Der Arbeitskreis Alternativen hat die ganzen Konzepte durchgearbeitet und nach sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Kriterien bewertet.Nach dem Moratorium wurden die Bewertungsergebnisse vorgestellt, aber nicht weiter diskutiert. Es ist nichts weiter in die Richtung passiert. Sehr frustrierend für die Menschen die viel an den Alternativen gearbeitet hatten. Das Problem sind die SPD und CDU. Es liegt nicht in deren Interesse für die gesamte Fläche nach Alternativen zu gucken. Es wurde 20 Jahre darauf hingearbeitet, diesen Boden zu versiegeln, jetzt soll es auch so gemacht werden“, kritisiert Ranke.

Im März 2021 gibt es den großen Erfolgsschlag: Mit einem beeindruckenden Wahlerfolg zieht die neue Wählergruppe Miteinander für Neu-Eichenberg (MfNEB) in die konstituierende Sitzung der Gemeindevertretung ein. Ihr Ziel: den Logistikgebietsplänen für den Acker bei Hebenshausen ein Ende bereiten. So bildet sich aus MfNEB, der LINKEN und den Grünen nun endlich mit 57% eine Mehrheit gegen das Logistikgebiet.

„Am Montag, den 19.04.21 stimmte die Gemeindevertretung von Neu-Eichenberg für einen Stopp der Planungen zum Sondergebiet Logistik. Der Acker soll außerdem nicht weiter als Logistikareal vermarktet werden“, heißt es in einer Stellungnahme der Ackerbesetzung vom 26.4.21. Der Acker ist vorerst gesichert!

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Was hat die ganze Bewegung so erfolgreich und stark gemacht?

Minze sagt dazu: “Ich glaube, dass es unglaublich wichtig ist in sehr unterschiedlichen Weisen zu agieren. Diese Besetzung funktioniert nicht alleine. Ziviler Ungehorsam und Besetzungen sind ein wirkmächtiger Weg um Druck aufzubauen. Das hat viel bewegt und dazu geführt, dass die Dietz AG abgesprungen ist, aber das funktioniert nicht alleine. Es ist mindestens genauso wichtig, dass es Bürger:innenprotest gab und dass es Menschen gibt, die sich in der Lokalpolitik engagieren, die im Gemeinderat sitzen. Dass es Menschen gibt, die Anträge schreiben, Planeinsichten bekommen und vieles mehr! Eine Besetzung funktioniert auch nicht ohne Unterstützer:innen. Und der Protest in Neu-Eichenberg hat nur so gut geklappt, weil wir alle gemeinsam auf verschiedenen Ebenen an einem Strang gezogen haben.“

Welche lokalpolitische Mittel habe ich, wenn ich den Bau eines Logistikgebiets vor meiner Haustüre verhindern will?

Ranke meint: „Im Prozess eines Beschlusses für einen Bebauungsplan wird meist eine Offenlegung und die Beteiligung der Öffentlichkeit durchlaufen. Öffentliche Träger und Bürger:innen können sich die Pläne anschauen und dazu Stellung nehmen. Meist hat man zwei Monate die Möglichkeit, die eigene Meinung und Kritik einschicken zu können. Die Einwände müssen dann durchgearbeitet, beantwortet werden und eventuell berücksichtigt werden. Außerdem nehmen die Natur- und Umweltschutzbehörden Einfluss auf die Bebauungspläne. Im Fall Neu-Eichenberg hat die Bürgerinitiative auch juristische Gutachten und wirtschaftliche Gutachten erstellen lassen, ob das Logistikgebiet die Gemeindekasse auffüllen oder leeren wird.“

Minze ergänzt: „Ich glaube, dass es vor allem wichtig ist sich zu vernetzen. Gemeinsam zu gucken wo das Planungsverfahren steht und was für Möglichkeiten es gibt Bebauung zu verhindern. Man kann auch über Naturschutz/Umweltschutz vieles erreichen, aber die Vernetzung ist das allerwichtigste.“

Ranke: „Es ist auf jeden Fall möglich sich zu informieren, aber dieser Prozess ist immer sehr aufwendig, sich durch die ganzen Akten, Pläne, Gesetze etc. durchzulesen und das zu begreifen. Bei der Offenlegung war das online zu Verfügung stehende Material nicht sonderlich übersichtlich. Es war sehr viel und nicht so leicht verständlich.“

Gewächshaus
Ackerfeminismus – Transpi
Tripod

Wie können wir nachhaltig wirklich was beim Zugang zu Land ändern?

Minzes Meinung lautet: „Wenn wir nachhaltig was am Zugang zu Land verändern wollen, brauchen wir Veränderung auf einer viel größeren Ebene. Wie wollen wir mit Boden als Gemeingut umgehen? Boden bedeutet mehr als landwirtschaftliche Grundbedingung. Boden erfüllt unzählige Funktionen im Ökosystem. In ihm schlummert Potenzial für Klimaschutz durch Kohlenstoff- und Wasserspeicherung. Also generell: Wie wollen wir mit Ressourcen umgehen?“

Land ist keine Ware, sondern unser aller Lebensgrundlage, Lebensraum und gemeinsames Gut. Es liegt in unser aller Verantwortung Zugang zu Land gerade für agrarökologische und bäuerliche Landwirtschaft einzufordern, damit wir auch in Zukunft nachhaltig produzierte Lebensmittel auf unseren Teller haben. Damit wird auch ländlicher Raum belebt, Jobs geschaffen und Ernährungssouveranität ermöglicht.

Die Fotos wurden uns von der Ackerbesetzung zur Verfügung gestellt. Danke!