Moderne Selbstversorgung – und große Wasserknappheit

Småland – obwohl ich nie zuvor hier war, meine ich das südliche Schweden zu kennen: aus dem Kinderzimmer, aus den Erzählungen von Astrid Lindgren. Mein Reiseziel: gar nicht weit von Lönneberga wo sie den wilden Michel seine Streiche spielen ließ. Dort liegt bei der Gemeinde Gunnebo der kleine Hof Frälsegarden. Wir sind zu zweit unterwegs und wollen hier für zehn Tage mitanpacken. Der Kontakt kam über WWOOF (WorldWide Opportunities on Organic Farms) zustande. Das Portal vernetzt Freiwillige weltweit mit Biohöfen.

Hinter dem weiß gestrichenen hölzernen Gartentor, das etwas schief in den Angeln hängt, kommen Besucher:innen die frei laufenden Hühner entgegen. Irgendwo schnattert die dreiköpfige Entencrew vor sich hin, die ganztags auf dem Gelände unterwegs ist. Der schöne Hofhund zieht es vor, unter dem Küchentisch im kleinen Wohnhaus zu bleiben, das sich von der Straße kommend hinter Wirtschafts- und Lagergebäuden verbirgt. Dunkelrot gestrichen sind die Holzhäuser, wie fast überall in der Gegend.

Auf dem Hof unterwegs: Die Hühnerschar. Wenn oben ein Raubvogel kreist, gibt der Hahn das Signal – und alle rennen in den Stall.  Foto: Jens Pfeiffer

Den Hof haben Daniela und Karl Johann seit vier Jahren gepachtet. Die gelernte Gärtnerin kam einst selbst über WWOOF aus Deutschland nach Schweden. Ihr Partner ist Schwede und gebürtig aus Värmland.

Die Gegend wirkt heimelig: Wald, Feldgehölze und Weideflächen wechseln sich ab, große flache Felsen liegen wie von Riesenhand verstreut immer wieder in den Wiesen. Viele Tiere und Pflanzenarten fühlen sich hier wohl, gerade weil die Flächen so vielfältig sind. Würden sie verbuschen, verschwänden viele davon. Deshalb sind die Schafe so wichtig. 75 Tiere umfasst die Herde von Daniela und Karl Johann.

Wassermangel prägt das Leben

Bevor es zum ersten Mal zu den Schafen geht, bittet mich Daniela beim Zusammenstellen der Gemüsekiste zu helfen. Ja, Singular: eine Gemüsekiste. Diese geht Woche für Woche an eine Kundin. Mehr abzugeben ist nicht realistisch, weil Wasser ein so knappes Gut geworden ist in den letzten Jahren.
Immerhin die Hühner legen zuverlässig mehr Eier als auf dem Hof direkt benötigt werden – einige Nachbar:innen sind dankbar dafür.
Das Gemüse auf dem Beeten sieht aus wie aus dem Bilderbuch – aber es erfordert ein strenges Regiment des Wassersparens und -schleppens, damit es die Pflanzen überhaupt zur Reife bringen. Das Gemüse dient vor allem der Selbstversorgung. Es wächst in kleinen Beeten zwischen den Häusern und in einem größeren Gemüsegarten in 200 Metern Entfernung. Daniela baut eine breite Palette verschiedener Sorten an und macht haltbar, was in den langen Wintermonaten lecker sein kann: fermentierte Gurken, Zucchini und Möhren, Sauerkraut. Manches wird getrocknet, anderes im Erdkeller in feuchten Sand eingeschlagen und dann jeweils bei Bedarf heraus geholt.

Hund sitzt mit Wasserkanistern im Auto
Wenn es geregnet hat, gilt es, die vollen Wasserkanister zum Garten zu fahren und alle Beete reichlich zu gießen. Dieses & folgende Fotos: Jens Pfeiffer

Der Klimawandel hat Südschweden fest im Griff. Und so gilt auch für alle, die auf dem Hof mitarbeiten wollen: Wer täglich duschen will, ist fehl am Platz auf dem Hof Frälsegarden. Im Sommer wird zum nahen See geradelt. Wann immer es regnet, gilt es, das Wasser zu sammeln. Wir werden in den kommenden Wochen immer wieder im Regen auf dem Gemüsefeld stehen und aus vollen Kanistern die Pflanzen zusätzlich wässern. Nur so durchfeuchtet mal der ganze Wurzelbereich.

Karten zum Grundwasser und zu Niederschlägen in Sweden
Diese Schwedenkarte der schwedischen Behörde für Bodenkunde zeigt, wie trocken es mittlerweile im Süden des Landes ist: Links – Grundwasserpegel (Vergleich der Pegel im Zeitraum 1961-2024), rechts – wie tief der Grundwasserspiegel abgesunken ist.

Dann aber geht es zu den Schafen: Wir schieben ein altes Kinderwagengestell vor uns her, das mit schweren Wasserkanistern beladen ist. Zwar gibt es in der Gegend Seen, aber zum Hof gehört keiner davon, auch kein Bach bringt wertvolles Nass zu den Tieren. Mindestens zweimal am Tag gilt es deshalb, die Wasserbottiche auf der Weide aufzufüllen.

Es dauert, bis wir die Schafe zählen können, denn die wolligen Tiere haben sich weit auf der Fläche verteilt, können im Schatten verschiedener Gehölzinseln ruhen und laufen behände über Stock und Stein. Die Zweibeiner auf der Weide sind willkommene Abwechslung. Als erstes erreicht uns ein besonders weißes Lamm. Wir werden vorgestellt: Es ist Lilly, das diesjährige Flaschenlamm. Fast entwöhnt bekommt sie im Sommer nur noch einmal am Tag eine Flasche mit Milch, das wir aus einem Pulver mit warmem Wasser anrühren.

Jutta und das Flaschenlamm Lilly
Begierig trinkt Flaschenlamm Lilly auch, wenn Gäste sie versorgen.

So eine Nuckelflasche ist in Windeseile geleert. Viel mehr Zeit braucht es, der Schafherde weitere Flächen vorzubereiten. Die Agrarförderung hängt für den Hof an der tatsächlichen Beweidung möglichst vieler seiner Flächen. Und die Schafe haben guten Appetit. Also gilt es immer wieder, ihnen neue Weide zu erschließen. Das geht nicht ohne Zaunbau oder die Reparatur teilweise noch vorhandener Zäune. Mangels Geld und aufgrund fieser Felsformationen überall im Grund ist der Weg der Wahl immer häufiger ein Wall aus abgeschnittenen Schlehen (und wenigen anderen Sträuchern.)

Schweißtreibende Arbeit: Daniela fällt mit der Motorsense Schwarzdorn um Schwarzdorn, wir schichten und verweben das Gestrüpp zu einem möglichst unüberwindbaren Hindernis. Die Sommersonne kann auch in Schweden ganz schön heiß sein.

Jeden Tag praktisch selbstversorgt

Wir fühlen uns wohl auf dem Hof. Wie alle Freiwillen haben wir eine Hütte auf dem Grundstück für uns. Vor dem Frühstück sind morgens die Hühner zu versorgen, dann geht es an die Aufgaben des Tages. Neben vielen Tagen am Zaun und bei der Befreiung bestehender Zäune von wildem Bewuchs gehört auch der Bau eines neuen Weidetores dazu, damit der Traktor bei Bedarf auf eine der künftigen Weideflächen fahren kann. Wir misten einen ganzen Tag lang den Schafstall aus, der erst wieder im Winter zum Einsatz kommen wird. Und an einem Regentag sortieren wir die geschorene Wolle, damit sie zur Weiterverarbeitung verkauft werden kann. Eine sehr meditative Aufgabe.
Neben der Wolle wird auch das Fleisch der Schafe verkauft. Zum Schlachten fährt Daniela die Tiere wann immer es möglich ist, nur eine kurze Strecke zu einer nahen Schlachterei.

Daniela und Karl Johann

Daniela hat – wie viele Menschen in der Landwirtschaft in Deutschland auch – einen weiteren Job: sie ist auch Altenpflegerin. An mehreren Nachmittagen und Abenden in der Woche besucht sie alte Menschen in der Region. Dort unterstützt und hilft sie, wo es nötig ist. Oft kommt sie abends sehr spät nach Hause, um am nächsten Morgen wieder früh für die Tiere und den Garten da zu sein.

Daniela berichtet gerne von ihrer Arbeit und nimmt sich Zeit für ihre Freiwilligen oder auch ein Fernsehteam, das einen Dokumentarfilm über die Region und die Selbstversorgung erstellt. In Schweden, so erzählt Daniela, ist das Thema Selbstversorgung seit Jahren sehr beliebt. In Schwedischen Volkshochschulen, die anders als in Deutschland oft mit mehrtägigen Kursen oder sogar langen Ausbildungen arbeiten, sind die Fortbildungen rund um Gartenbau und Tierhaltung für Selbstversorger:innen schnell ausgebucht.

Die Zeit auf dem Hof vergeht schnell. Ich nehme viele Eindrücke mit. Ich bin dankbar für die Gastfreundschaft und Offenheit von Daniela und Karl Johann. Und ich denke seitdem viel darüber nach, welche Zukunft diese arbeitsame, aber auch freie kleinteilige Landwirtschaft in Schweden hat und wie viel sie für Biodiversität und den Umgang mit künftigen Krisen bedeuten wird.

Neue Sorgen im Herbst

Dieser Text entsteht nach meiner Reise und ich stimme ihn kurz vor der Veröffentlichung Mitte Oktober mit Daniela ab. Sie ist bedrückt. Bevor sie den Text freigeben kann, muss sie 14 erwachsene Schafe in einen LKW treiben, der zur Großschlachterei fährt. So viele Schafe kann sie nicht regional vermarkten. Weil es auch im Spätsommer so trocken gewesen ist, mussten sie bereits im September anfangen, den Tieren Heu zuzufüttern. Viel früher als in den Vorjahren. Das Winterfutter hätte deshalb nicht für alle Schafe gereicht. Eine bittere Entscheidung, die Herde zu verkleinern.

Ich sehe die Schafe vor mir, wie sie munter über die Weide springen. Der Klimawandel, den auch unsere Gesellschaft mit viel zu viel Treibhausgasen täglich voranbringt, zerstört jeden Tag Leben. Mir hilft nur der Gedanke daran, dass es auch viele Menschen gibt, die jeden Tag für die nötigen Veränderungen streiten. Für Agrar- und Energiewende, für Biodiversität und Klimaschutz – wie Daniela es mit ihrer Lebensweise ganz nah an Tieren und Pflanzen tut, wie wir es mit Einmischungen in die Agrarpolitik und dem Vorstellen von ermutigenden Alternativen versuchen.

Mach mit!

Bitte hilf auch Du Weidehalter:innen, Weidetieren und der Vielfalt: Unterzeichne – falls noch nicht geschehen – hier unseren Appell.

Weiterführende Links

WWOOF® – Worldwide Opportunities on Organic Farms – zur Webseite