Radtour-Rückblick in Wort und Bild

Fast pünktlich startete unsere Tour am Samstag, den 13. Juli in Lüneburg. Eingeladen hatten gemeinsam Aktion Agrar, die Evangelische Jugend in ländlichen Räumen sowie der niedersächsische Arbeitskreis Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Die erste Etappe führte nach Bleckede, wo die Gruppe im Gemeindehaus der evangelischen St. Jacobi-Gemeinde mit Kaffee und Kuchen begrüßt wurde. Erika Tipke berichtete aus ihrer inzwischen jahrzehntelangen Arbeit für den Schutz der Elbe und das solidarische Miteinander entlang des Flusses.

Am Sonntag überquerte die Tour die Elbe in der Nähe von Hitzacker mit der Fähre und wurde von Schäferin Lisbeth Lange-Wulff empfangen. Ihre Leineschafe liefern wunderbare Wolle, deren Weiterverarbeitung aber auch nach 12 Jahren noch eine große Herausforderung darstellt. Die Radler*innen durften sich am „Woolpicker“ versuchen und mit einer Handspindel Wolle spinnen. Weil seit langer Zeit in der Region Wollverarbeiter fehlen, geht die Wolle vorgereinigt auf die Reise in eine Kämmerei, die dann kadierte Fliese zurückschickt und damit den Rohstoff für Spinn- oder Filzarbeiten liefert. Beeindruckend erlebten alle das große Engagement der Hofeigner, die beide zusätzlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, um ihre Landwirtschaft zu finanzieren.

Schaeferin

Am zweiten Abend erreicht die Gruppe das Heuhotel in Breese im Bruche – einem kleinen Rundlings-Dorf im Wendland.

Es gibt lecker und reichlich Essen für alle – und nach einer Führung über den kleinen Hof eine schöne Runde mit Gitarre und Geschichten am Feuerkorb. Trotz einiger Stechmücken wird es eine sehr gemütliche Nacht im Heu.

Essen_Heuhotel

In Quickborn stellt uns Martin Schulz seinen Betrieb vor. Er hält Schweine nach den Kriterien des Neuland-Verbandes. Sie leisten mit ihren Hinterlassenschaften einen Beitrag zur „Befeuerung“ seiner Biogasanlage, für die mehrere Nachbarbetriebe Mais und Schnittgut liefern. Der engagierte Bauer erzählt von der vielen Überzeugungsarbeit, die er zu leisten hatte, bis sich immer mehr Haushalte seines Ortes an sein Fernwärmenetz anschließen ließen. Bis zum Auslaufen der EEG-Förderung ist es nun besonders günstig, warme Stuben in Quickborn zu haben. Martin Schulz ist neben seiner Arbeit auf dem Betrieb auch noch Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL und engagiert sich dafür, das bäuerliche Betriebe eine  Zukunft haben. Auch dafür braucht es einen langen Atem.

Besichtigung_Schweinehaltung

Gegen Mittag ist der Hunger groß. Der Fahrradanhänger dient gleichzeitig als Unterwegs-Büffet. Es gibt Brot und Aufstriche, reichlich frisches Obst und Gemüse und ein wenig Zeit, die müden Glieder zu strecken.

Pause_Mit_Haenger

Der Gasthof Meuchefitz ist seit Jahrzehnten ein Ort der Begegnung für engagierte Gruppen. Insbesondere der Widerstand gegen den Transport von Atommüll ins Zwischenlager bei Gorleben hatte hier eine wichtige Basis-Adresse.

Jetzt darf unsere Gruppe hier rasten. Wir führen Gespräche mit „alten“ Wendländer*innen  – und bereiten unsere Aktion für den Donnerstag in Wolfsburg vor. Sabine Klug und Leonie Steinherr stellen hier die Fragen für das Saatgut-Quiz vor. Jeweils zwei oder drei Leute werden sich später bereit erklären zu je einer Frage eine Theaterszene oder Plakat-Aktion vorzubereiten, die das Quiz bereichern und vertiefen soll.

Vorbereitung_Aktion

Dienstag, der 16. Juli ist ein „Pausetag“ auf unserer Tour, eine zweite Nacht in Meuchefitz ist eingeplant. Dennoch werden die Drahtesel gesattelt. In Lüchow empfängt uns die SoLaWi „Landwen.de“. In einer Kleingartenanlage sind hier Beete und Gewächshäuser entstanden und versorgen nach und nach mehr Menschen mit frischen Lebensmitteln.

Initiator Jörg Knaak erzählt von den Erfahrungen der letzten Jahre. Das Interesse an frischem Essen von nebenan nimmt zu, aber mehr Engagement beim Aufbau des Projektes könnte die Initiative in Lüchow noch gebrauchen.

Im Anschluss an die Führung schnippeln wir einen großen Korb frischer Salate, Zuccinis und Kräuter und genießen das Essen in den Vereinsräumen der jungen SoLaWi.

Fuehrung_Solawi_luechow

Und weiter geht’s!

Jeden Tag legt die Gruppe zwischen 40 und 75 Kilometer zurück. Wir haben durchgehend Glück mit dem Wetter und sind uns einig: Eine Radtour zu spannenden Orten und Menschen ist auch deshalb besonders toll, weil unterwegs so intensive Gespräche zu zweit oder zu dritt auf den Rädern möglich sind. In der Gruppe sind Praktiker*innen aus der Landwirtschaft dabei, aber auch Stadtmenschen, die viele Dinge zum ersten Mal erleben. Gute Fragen haben alle in großer Zahl – Langeweile kommt zu keinem Moment auf.

unterwegs

In der Nähe von Wittingen besuchen wir den demeter-Betrieb „Wendengarten“. Schon seit den 80er Jahren bewirtschaftet hier ein Hofkollektiv eigene und gepachtete Flächen, derzeit rund 65 Hektar mit Gemüsebau und Landwirtschaft.

Die Räder dürfen stehen bleiben, die komplette Gruppe darf auf den Hänger umsteigen und bekommt eine Rundfahrt über das Gelände.

Ein großes Thema für den Hof ist das zweite Trockenjahr in Folge. Es wird schwieriger, die Bewässerung der Kulturen zu gewährleisten und es gibt kontroverse Ansichten unter den Landwirt*innen der Region über den besten Umgang mit dem Fluss und den Drainagegräben.

Auch Kartoffelschädlinge spielen im Alltag der Landwirtschaft eine große Rolle. Aktuell versucht die Hofgemeinschaft, dem Drahtwurm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die Kartoffelernte wurde nach vorne verlegt. Unser Gastgeber Lutz Flüger ist 30 Jahre dabei, sagt aber, dass er jedes Jahr neue Erfahrungen macht und weiter lernen muss.

Hofrundfahrt

Am Donnerstag radeln wir durch das Biosphärenreservat Drömling und bestaunen die Vielfalt und die Moorgraben-Kulturen der Region.

Dann hat uns die Stadt zurück: Auf einmal ist es zu laut, um mehr als einem oder einer Mitradler*in zuzuhören. Die Straßen sind voll mit Autos und LKW.

In Wolfsburg erwarten uns schon Journalistinnen beider Tageszeitungen – fix packen wir unsere Requisiten aus und rufen die Passant*innen auf, am Saatgut-Quiz teilzunehmen. Sie tun es. Eine schöne Abwechslung, dass wir nach vielem Zuhören einmal als Gruppe gemeinsam etwas erzählen bzw. darstellen.  Es geht um den Zugang zu Saatgut, um Besonderheiten des Sortenrechts und den Wunsch, möglichst große Vielfalt zu erhalten.

Dank Sommerzeit erscheinen auch in beiden Zeitungen Berichte plus Foto.

Aktion_Wolfsburg

Am Freitag machen wir Station beim staatlichen Julius-Kühn-Institut in Braunschweig. Das Institut macht unter anderem Sicherheits-Prüfungen für Pestizide und untersucht das Zusammenspiel verschiedener Pflanzensorten sowie besondere ackerbauliche Herausforderungen.

Beeindruckt haben uns Forschungsfelder zur Fruchtfolge, durch deren Optimierung mehr Pflanzengesundheit erreicht werden soll und Pestizid-Einsatz reduziert werden kann.

Sehr spannend waren auch die Versuchsfelder mit Kulturen, in denen der Mutterkorn-Pilz wächst. Während meistens Roggenfelder betroffen sind, ist aktuell auch der Befall von Weizenkulturen ein Thema, das den Verantwortlichen Sorge bereitet. Der Pilz ist giftig für Mensch und Tier. Die übergroßen „Körner“, die er ausbildet, werden heute bei der Getreideverarbeitung meist rechtzeitig entdeckt.

Mutterkorn

Von Braunschweig aus geht es nach Schandelah, wo uns Ursula Reinhard ihren zauberhaften Garten vorstellt, in dem sie seit vielen Jahren besonderes Gemüsesaatgut vermehrt. Vor allem Tomaten haben es ihr angetan und wachsen in unglaublicher Vielfalt. Im Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN) arbeitet sie mit vielen anderen daran, dass möglichst viele der alten Kultursorten weiter genutzt, geliebt und gegessen werden.

Unsere vorletzte Station ist das Hühnermobil der Familie Glindemann in Volzum. Rund um mehrere mobile Hühnerställe leben hier jeweils einige hundert Tiere mit reichlich Platz zum Scharren und Rasten. Erfolgreich sammeln wir Dutzende legefrischer Eier aus den „Familiennestern“, die mit duftigem, lockeren Dinkelspelz eingestreut sind. Die Glindemanns haben in den letzten Jahren ihren Hofladen modernisiert und ermöglichen mit einem großen Verkaufsautomat ihren Kund*innen an 365 Tagen im Jahr den Einkauf frischer Eier. Neben zahlreichen anderen Produkten gibt es auch Eiernudeln hier, die ein Nudelbetrieb in der Nähe mit den Glindemann-Eiern herstellt. Ein sympathisches, regionales Modell, finden alle.

Huehnermobil

Nach einer letzten Nacht im Gemeindehaus, dieses Mal bei der St. Thomas-Gemeinde in Wolfenbüttel, geht es bei heißem Samstagswetter noch zur nahegelegenen Asse – und nocheinmal zu großen Fragen der Energiepolitik. Seit vielen Jahren arbeitet die Bürgerinitiative vor Ort und fordert die komplette Bergung des Atommülls aus dem ehemaligen Salzbergwerk Asse II, dessen Wassereinbrüche seit Jahrzehnten bekannt sind.

Die Aktiven bleiben dran an den Verantwortlichen, die seit langer Zeit nur spärlich informieren und viele wichtige Fragen nicht beantworten.

Zu einem schnellen Reste-Mittagessen kommt die Gruppe zurück nach Wolfenbüttel. Kilometerstand nach 8 Tagen on tour: 377 Kilometer.

In einer Abschlussrunde sind sich alle einig: Es war eine tolle Tour!

Kilometerstand

Fotos: Karsten Schulz. Text: Jutta Sundermann