Schweine auf der Krachmachermühle

Die Krachmachermühle

Ich, Lucia von Aktion Agrar, bin auf dem Weg nach Mittelfranken in Nordbayern, um dort Familie Gräf auf ihrem Hof der „Krachmachermühle“ zu treffen. 2016 sind sie aus der konventionellen Schweinemast ausgestiegen.

Als ich durch das Eingangstor auf den Hof fahre, begrüßt mich der Hofhund aufgeregt. Rechts und links des Hofplatzes liegen zwei schöne alte, typische Bauernhausgebäude. In dem einen wohnen Johannes und Maike Gräf mit den Kindern. In dem anderen die Altenteiler. Dahinter stehen zwei große Stallgebäude – die ehemaligen Schweinemastställe.

Die Gräfs von der Krachmachermühle

Von konventioneller Schweinemastbetrieb zu zukunftsfähiger Landwirtschaft

Johannes Gräf ist ausgebildeter Landwirtschaftsmeister. Er hat den Schweinemastbetrieb 2011 von seinem Vater übernommen. Wie vielerorts hatte Johannes Vater den Betrieb in den 90er Jahren spezialisiert und vergrößert. Johannes übernahm den Hof inkl. Schulden, um ihn weiterzuführen. Er sagt er war und ist gerne Landwirt und die Arbeit bereitet ihm viel Freude.

Der Betrieb verfügt über 50 ha eigenes Ackerland in der Nähe des Hofes. Bis 2016 hielten die Gräfs 1700 Mastschweine konventionell, die sie an einen Schlachthof in der Nähe verkauften. Dann stiegen sie aus der Schweinemast aus.

Johannes erzählt: „Der Auslöser war, dass ich mir ein abgepacktes Stück Fleisch im Supermarkt gekauft habe, weil wir abends grillen wollten. Zuhause habe ich das Fleisch ausgepackt und es war so ekelhaft. Ich habe nachgeschaut, woher das Fleisch kommt und festgestellt, dass es von dem Schlachthof ist, an den ich wenige Tage zuvor meine fertig gemästeten Schweine geliefert habe. Zu dem Zeitpunkt im Jahr 2016 habe ich bei jedem Schwein, das ich verkauft habe, ungefähr 5 Euro draufgezahlt. Das war so eine Erkenntnis, die ich in dem Moment hatte: Du arbeitest für ein Tier und wie ein Tier, du zahlst drauf und dann kommt auch noch ein Produkt raus, das kacke ist. Das war der Moment, in dem der Entschluss stand, aufzuhören mit der Schweinemast“.

2016 startete auch die „Initiative Tierwohl“ des Lebensmitteleinzelhandels. Die Idee dahinter ist, dass Tierhalter:innen eine Kompensationszahlung für den Mehraufwand erhalten, den sie durch die Umsetzung von mehr Tierwohl in ihrem Betrieb haben – mit dem Ziel, insgesamt ein besseres Einkommen zu erhalten. Wäre das nicht auch etwas für euch gewesen, frage ich die beiden: „Ja als die Initiative Tierwohl 2016 aufgelegt wurde, da habe ich schon überlegt, investiere ich nochmals oder lasse ich es? Ich habe nicht investiert, sondern mit der Schweinehaltung aufgehört. Andere Bauern, die ich kenne, haben 30-40 Tausend Euro in ihre Ställe investiert, um in das Programm aufgenommen zu werden. Von den Bauern, die sich beworben haben, wurden aber nur 48% in das Programm aufgenommen. Viele Bauern haben das Geld in die Hand genommen und investiert auf eigenes Risiko, dann wurden sie vom Einzelhandel aber nicht zugelassen und sind auf ihren Kosten sitzen geblieben“ erwidert Johannes.

„Also war das damals die richtige Entscheidung?“, frage ich. „Ja, aber obwohl ich nicht investiert habe, zahle ich heute noch Schulden ab für frühere Investitionen in Ställe, in denen ich seit 6 Jahren keine Schweine mehr stehen habe und der Stallkredit läuft noch bis 2028. Seit Jahren verbrenne ich also mein Eigenkapital.“

Schweine auf der Krachmachermühle

Johannes und Maike haben von heute auf morgen aufgehört, ohne ein konkretes alternatives Betriebskonzept in der Tasche zu haben, über das sie sich finanzieren könnten. 2016 haben sie keine Perspektive mehr gesehen und es gab nirgendwo ein alternatives Geschäftsmodell, das sie hätten direkt umsetzen können. Staatliche Beratungen – Fehlanzeige meint Johannes. Deshalb bewirtschaftet er die 50 ha Ackerland zurzeit im Nebenerwerb.

So wie den Gräfs geht es heute vielen Betrieben. EU-weit sind zwischen 2003 und 2016 fast ein Drittel der Höfe verschwunden. Der Rückgang an kleinen Höfen ist dabei besonders hoch – 38 Prozent der kleineren Betriebe haben aufgegeben. In Deutschland haben im Durchschnitt der letzten 10 Jahre täglich 10 Betriebe aufgehört im Haupterwerb zu wirtschaften.

Bereits knapp 60 Prozent der Landwirt:innen in Deutschland betreiben ihren Betrieb heute nur noch im Nebenerwerb. (1) Wie bei den Gräfs – häufig keine freiwillige Entscheidung – fehlt es doch an Alternativen, die wirtschaftlich tragen würden.

Schweine weg und was nun? Der Transformationsprozess: Von SoLawi über Bauernhofpädagogik bis Agroforst und Direktvermarktung – die Gräfs experimentieren

Seit die letzten Mastschweine den Hof verlassen haben, machen sich die Gräfs viele Gedanken, wie sie ihren Betrieb zukünftig aufstellen wollen. Mittelfristig trägt sie ihre außerlandwirtschaftliche Erwerbsarbeit. Langfristig wollen sie wieder von ihrem Betrieb leben können.

Beide sind sich bewusst, dass es für sie ein großes Privileg ist, so viel eigenes Land und Gebäude zu besitzen – und eine große Verantwortung. Sie wollen ihren Kindern einen nachhaltig aufgestellten Betrieb hinterlassen, der sich langfristig trägt und im Einklang mit Natur und Umwelt wirtschaftet.

Johannes erklärt: „Ich bin jetzt 33. Ich habe, wenn es gut läuft, noch 50 Jahre. Ich kann jetzt noch was verändern, ich habe Motivation und Energie was Nachhaltiges zu machen, aber mein Wissen reicht noch nicht. Denn wie gesagt, ich gehe aktuell 40 Stunden arbeiten, abends und nachts mache ich die Arbeit auf dem Acker und habe zwei Kinder und einen Pflegesohn. Da bleibt einfach keine Zeit, dass ich mir noch ein neues Betriebskonzept allein überlege.“

Deshalb haben die Beiden in den letzten sechs Jahren begonnen, mit großem Mut unterschiedliche Betriebszweige gleichzeitig aufzubauen, um zu erforschen was für sie gut funktioniert. Sie gründeten eine Solidarische Landwirtschaft und etablierten erste Bauernhofpädagogikangebote. Dieses Jahr bauen sie erstmals Speiselinsen an, die sie direkt vermarkten und sie haben sich für einen Agroforstfeldversuch beworben.

Die Krachmachermühle von oben

Betriebszweig Solidarische Landwirtschaft (SoLawi): 2020 haben sie die Solawi gegründet. 30 Mitglieder gibt es schon und gemeinsam bauen sie auf einem Schlag hinter dem Hof Gemüse an. Eine Idee, die beide haben, ist das Ganze größer aufzuziehen und sich selbst als Gärtner:innen anzustellen „Denn dann hätte ich die finanzielle Sicherheit“ meint Johannes. Er ist dazu gerade im Gespräch mit dem Netzwerk solidarische Landwirtschaft, um diese Optionen stärker auszuloten.

Betriebszweig Bildungsarbeit & Hofpädagogik: Maike verfolgt das Projekt Lebenshof mit Aufklärung und Pädagogik als ein zusätzliches Standbein weiter. Einen der alten Mastställe haben sie Spenden-finanziert umgebaut. Wo früher 100 Mastscheine lebten, sind es heute 5 Schweine. Paten kommen für Kost und Logis der Tiere auf. Eine Patenschaft hat der örtliche Waldkindergarten übernommen der regelmäßig vorbei kommt, das Tier besucht und zusätzlich eigene Gemüsehochbeete pflegt. Maike will das Bildungsangebot noch ausbauen: „Einen der ehemaligen Mastställe bauen wir gerade um zu einem „Hybrid-Aufklärungs-Museum“. Darin möchten wir unter anderem Gebrauchsgegenstände aus der konventionellen Landwirtschaft zeigen, wie zum Beispiel Wundspray oder Markierungsfarbe. So haben die Leute, die uns besuchen, den direkten Vergleich zwischen dem Leben unserer fünf Schweine jetzt und dem unserer Mastschweine früher.“

Betriebszweig Marktfrucht-Direktvermarktung: Die Gräfs bauen dieses Jahr auf 25 Prozent ihrer Flächen Leguminosen an. Unter anderem Speise-Linsen, die sie direkt vermarkten wollen. Leguminosen wie Linsen sind wichtige Eiweißlieferanten und eine leckere Fleischalternative. Linsen sind eigentlich ein heimisches Gewächs, werden heute jedoch fast ausschließlich aus der Türkei und Kanada importiert. Johannes möchte daran etwas ändern, aber der Vermarktungsaufbau ist nicht leicht: „Ich habe mit 40 Leuten telefoniert, damit ich die Linsen nach der Ernte vermarkten kann. Ich habe dann nur genau einen Abnehmer gefunden. Wenn er diese Linsen im Herbst doch nicht abnimmt, dann habe ich ein Problem.“ Johannes hofft, dass alles gut geht und daraus eine langfristige Kooperation entstehen kann.

Agroforst: Johannes schwärmt auch von Agroforst und regenerativer Landwirtschaft. Er würde das System gerne ausprobieren auf einem Teil seiner Flächen. Aber bisher fehlt es an einem Konzept und der Finanzierung. Deshalb hat er sich nun für einen Versuch in Kooperation mit einer Universität beworben und hofft aktuell auf eine Zusage. Er ergänzt: „Gerade in den letzten Jahren habe ich unglaublich viel gelernt über Agroforst, Bodenfruchtbarkeit und solche Dinge. Ich bin Landwirtschaftsmeister, aber von all den Dingen habe ich in meiner gesamten Ausbildung nichts gehört. Jetzt bezahle ich teuer für die ganzen privaten Weiterbildungen.“

Linsenfeld im Juni

Ich bin absolut beeindruckt von all den Standbeinen, die die Gräfs initiieren, neben Erwerbsarbeit, Kindern und Weiterführung des Ackerbaus im Nebenerwerb und trotz aller Widrigkeiten, denen sie gegenüberstehen: Keine öffentlichen Beratungsstellen, die sie kontaktieren könnten, um gemeinsam alternative Betriebskonzepte zu erarbeiten. Hohe Kosten für private Weiterbildungen nach Feierabend und keine Förderungen für den Aufbau von Betriebszweigen. Die Gräfs sind Pioniere – waren mutig und sind aus der Schweinemast ausgestiegen. Jetzt stehen sie am Anfang neuer Wege und machen den Umbau damit leichter für diejenigen, die später folgen und von ihren Erfahrungen profitieren können!

Lernen vom Beispiel der Krachmacher:innen: Was es braucht, damit die Transformation gelingt

Für mich zeigt das Beispiel der Krachmachermühle, dass umsteige-willige Höfe endlich Folgendes brauchen, damit die Transformation gelingt:

  • staatliche Beratungen für neue Betriebskonzepte, die auf unterschiedliche Betriebszweige und mehr Wertschöpfung für die Höfe setzen.
  • Schuldenschnitte für Landwirt:innen, deren Investitionen noch nicht amortisiert sind und die bereits wieder neu investieren sollen.
  • Ausstiegsprämienfür Betriebe, die die Tierhaltung komplett aufgeben und stattdessen ein anderes Betriebskonzept verfolgen wollen.
  • Mehr regionale Infrastrukturen wie Verarbeitungsmöglichkeiten, lokale Läden und Märkte, die bei der Ausrichtung der Betriebe helfen.
(1) Im Nebenerwerb wirtschaftet ein Betrieb, wenn er weniger als 50% seines Einkommens aus der direkten Landwirtschaft erzielt. In der zitierten Statistik werden nur Betriebe über eine Größe von 5ha erfasst. D.h. eigentlich ist die Zahl der Nebenerwerbsbetriebe in Deutschland noch viel größer.
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