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Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO)

Willkommen zu einer weiteren Initiativenvorstellung in unserer Reihe!

Nachdem ihr viel über Initiativen gelesen habt, die der industriellen Nutztierhaltung etwas entgegensetzen, steigen wir diesmal über die hohen fensterlosen Mauern der Anlagen hinweg und hinein in die Ställe und Fabriken. Dort angekommen fragen wir uns – wer macht eigentlich die ganze Arbeit hier und wie geht es den Menschen? Unter welchen Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten diese zu gestalten werden hier täglich Millionen Tiere geschlachtet, verarbeitet und verpackt?

Wir wollen euch die Initiative ALSO vorstellen (Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, arbeits- und/ oder erwerbslose Menschen, sowie prekär beschäftigte Arbeiter:innen mit einem Beratungsangebot zu unterstützen. Schon zu unserer diesjährigen Aktionsradtour durch das Oldenburger Münsterland trafen wir auf Guido Grüner und George Nechifor. Beeindruckt und erschüttert erfuhren wir von ihrer Arbeit und den Erfahrungen, welche Arbeiter:innen mit ihnen teilen. Die Eindrücke begleiteten uns auch in den Folgetagen. So war der Gedanke geboren, das Wissen und die Geschichten der ALSO über die Situation der Arbeiter:innen mit noch mehr Menschen zu teilen.

Wie hat es angefangen?

„1982, noch vor der Wende, gab es in der BRD eine Welle von Massenarbeitslosigkeit. Über zwei Millionen Menschen waren offiziell als arbeitslos registriert. Das war der auslösende Faktor,über aktuelle Verhältnisse und grundsätzliche politische Forderungen zu diskutieren“, beginnt Guido unser Telefonat. Existenzsicherung & Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum, Veränderungen in der Arbeitswelt, wie die Aufhebung der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung, Arbeitszeitverkürzung und Anerkennung von Reproduktionsarbeit in den Familien, waren Aspekte, die sie für besonders wichtig hielten. Ein wesentlicher Teil der Organisation war aber auch die Vernetzung vor Ort mit Betroffenen, Basisinitiativen und der Politik. Dabei hat sich gerade im Austausch untereinander herausgestellt, dass bei vielen Ratsuchenden die Existenzsicherung, die ihnen zustand,, nicht bewilligt wurde. Und dass es gut war einen öffentlichen Raum zur Vernetzung zu haben.“

Berater:innen der ALSO solidarisieren sich mit jenen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in diese Arbeits- und Lebensverhältnisse gerutscht sind und bekräftigen diese, gemeinsam ihre aktuelle Situation zu verbessern und für die Einhaltung ihrer Rechte zu kämpfen. „Auf ganz unterschiedliche Weise“, erzählt Guido. „Parteiische Sozialberatung heißt, die Ratsuchenden entscheiden zu lassen, auf welche Angebote sie zugreifen möchten.“

Was hat das mit der Fleischindustrie zu tun?

Mit dem Standort in Oldenburg, befindet sich die ALSO inmitten des „Schweinegürtels“ in Deutschland. Dadurch sind viele der Ratsuchenden in der Fleischindustrie beschäftigt. Viele der Arbeiter:innen kommen aus osteuropäischen Ländern wie z.B Rumänien oder Bulgarien.

Guido erklärt: „Man kann nicht davon ausgehen, dass die Menschen freiwillig hier sind. Oft arbeiten Menschen in Deutschland, um ihre Familien in ihrem Herkunftsland finanziell abzusichern, weil es in vielen Ländern keine Grundsicherung oder Sozialleistungen gibt. Deswegen sind den Arbeiter:innen oft die Hände gebunden rechtliche Schritte gegen die Nichteinhaltung von Arbeitsrechten einzuleiten. Damit würden sie ihren Job, ggf. Ihren Wohnraum und letztendlich die Existenz ihrer Familien gefährden. Das macht die Belegschaft unheimlich erpressbar.

Mit Landwirt:innen verbündet..

„Wir, auf der Seite der Erwerbslosen, mit dem Druck das Billigste zu kaufen, garantieren den Absatz für die Strategie des Preisdrucks auf den Lebensmittelbereich.“

Die ALSO fordert: „Die Grundsicherungsleistungen müssen so hoch sein, das sich jede:r fair produzierte Lebensmittel leisten kann.“

Zeitgleich sollten die Forderungen von Bäuer:innen & Landarbeiter:innen ernst genommen werden, ein auskömmliches Leben zu führen, die Fruchtbarkeit ihrer Äcker zu erhalten und nicht durch Preisdruck gezwungen zu sein, Pestizide, große Maschinen o.Ä einzusetzen.“

Daraus kann geschlussfolgert werden, dass solange diese Regelsätze für Sozialleistungen so niedrig sind, es auch immer eine Nachfrage für billig hergestellte Lebensmittel geben wird, mit denen wiederum Ausbeutung einhergeht. „Mit dieser Einsicht und dem Aufmerksam werden auf regionale Milchviehhalter:innen durch den Milchlieferstreik 2008/2009, engagiert sich die ALSO auch an politischen Protesten und ist Mitglied in der AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft).“ Außerdem sind sie Teil des „Wir haben es satt!-Bündnis“.

 „Wir sollten in unseren Aktionen und Forderungen deutlich machen, dass die Menschen, die die Lebensmittel kaufen und die, die sie erzeugen, auf derselben Seite stehen sollten., schließt Guido ab.

ALSO Initiative 2

Wie sieht die Situation für Arbeiter:innen bei Tönnies, PHW, Vion,& Co aus?

Es geht bei der Arbeit der ALSO also weniger um den Transformationsprozess der Nutztierhaltung an sich, als darum aufzuzeigen, wie dringlich und notwendig dieser für unser aller Zukunft ist. Die ALSO liefert uns Informationen zu den bestehenden Arbeits- und Lebensverhältnissen aus erster Hand. Es geht in ihrem Beratungsangebot darum, genau diese bestehenden Verhältnisse erträglicher zu machen – für die Menschen, die tagtäglich zugunsten der Profitinteressen der Konzerne ausgebeutet werden.

Die deutsche Fleischindustrie konnte in den letzten Jahrzehnten in einem gigantischen Tempo steigende Wachstumszahlen vorweisen und Deutschland stieg zum viertgrößten Fleischexporteur der Welt auf. Die heimische Fleischindustrie kann anderen eigentlich überlegenen Standorten aus zwei Gründen Konkurrenz machen: Hohe Konzentration der Betriebe und extreme Ausbeutung der darin arbeitenden Menschen.

Besondere Aufmerksamkeit zieht dabei immer wieder die Region „Süd-Oldenburg“ auf sich, mit vielen großen Tiermast-, Schlachtungs- und Verarbeitungsbetrieben der Fleischindustrie, wie z.B. Tönnies, PHW, Vion, EW und Westfleisch.

Zuletzt im Sommer 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, lag aufgrund von hohen Infektionszahlen der Belegschaft ein gesellschaftlicher Fokus  auf dem Unternehmen Tönnies. Guido erzählt von der „Arbeitsquarantäne“, was zynische Arbeitgeber:innen für ein legitimes Infektionsschutz-Konzept hielten. Infizierte Arbeiter:innen, die nicht allzu krank sind, sollten innerhalb einer Infektionsgemeinschaft trotzdem noch zusammen arbeiten und wohnen.

„Die aktuelle Situation für Beschäftigte in der Fleischindustrie, ist von zwei einschneidenden Ereignissen geprägt“, erzählt Guido. „Einmal von der Corona-Pandemie mit den sehr vielen Erkrankungen in den Schlachthöfen und einer unheimlich schleppenden Umsetzung von Schutzmaßnahmensowie der darauffolgenden gesellschaftlichen Diskussion. Und zum Anderen hat das sogenannte Arbeitsschutz-Kontrollgesetz, welches auf formaler Ebene das Verbot von Leiharbeit & Werkverträgen bedeutet, die Verhältnisse wesentlich verändert

„Es ist ein Zusammenwirken aus jahrzehntelanger Kritik unterschiedlichster Institutionen an diesen Verhältnissen.“ Guido erzählt: „Wir haben die erste Demo vor einem Schlachthof bereits 2012 gemacht.“

„Was sich allerdings nicht wesentlich verändert hat, sind die Bedingungen in den Schlachthöfen.“ Nach wie vor herrscht ein unglaublich hoher Leistungsdruck. Die Löhne sind niedrig, es gibt einen Personalmangel und es wird nach wie vor vom Management durchgesetzt, dass alles geschlachtet wird, was vermarktet werden kann.Somit können die Arbeitszeiten nicht eingehalten werden und die Arbeiter:innen müssen Überstunden schieben. „14-16 Stunden-Schichten sind keine Seltenheit. Ganz zu schweigen von der Erholung und Regeneration der Arbeiter:innen.“

„Die Ausbeutbarkeit der Menschen, die aus anderen Ländern kommen, um hier zu arbeiten, steigt, je isolierter sie sind und je mehr sie allein ihren Arbeitgeber:innen ausgesetzt sind.“

ALSO Initiative 1

Im Interview frage ich Guido, ob perspektivisch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu erwarten sind. Im Oktober 2022 soll ein Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde,-/h eingeführt werden, das ist gut!“, antwortet er.

Was bleibt? 

Guido appelliert daran, Netzwerke und Ressourcen wie Sprache oder Beziehungen zu nutzen, um sich zusammen zu tun und sich zu wehren.! Besonders durch soziale Medien, hat sich der Kontaktaufbau, insbesondere in andere Länder oder in Bezug auf Mehrsprachigkeit, enorm vereinfacht. „Es ist wichtig, offenes Interesse daran zu bekunden, wie Menschen hier und in anderen Ländern leben auch über die europäischen Grenzen hinaus.“ 

In meinem Telefonat mit Guido ergibt sich für mich immer wieder, dass das Herantreten an die Öffentlichkeit ein zentraler Hebel für die Beratungs-Erfahrung, für das Gefühl der Arbeiter:innen, aber auch für den zunehmenden politischen Druck ist. „Es darf nicht passieren, dass Menschen durch die miserablen Arbeitsbedingungen schwer krank oder gar arbeitsunfähig werden, dass Arbeitsunfälle vertuscht werden oder Behandlungen ausbleiben. Alles, was sichtbar gemacht wird, ist auch angreifbar & fällt nicht unter den Tisch.“ 

Förderung FEB