Eine Schafherde auf grüner Wiese

Die Hirt:innenschule in den Pyrenäen

Spanien, Aragon. Nach unserer Ankunft in Barcelona fahren wir weiter Richtung Norden, in die Region Aragon. Die Landschaft und auch das Wetter ändern sich drastisch. Es wirkt so, als würden auf den hügeligen und kargen Wiesen direkt nach dem Schild, das die Region Aragon anzeigt, statt Häusern nur noch riesige graue Schweineställe und Schlachtanlagen vereinzelt in der Landschaft stehen. Es wirkt trist und verlassen. Das ist also Aragon? 

Uns kommen die Argumente der Befürwortern der Schweineindustrie in den Sinn: In dieser kargen Region wäre nichts anderes möglich intensive industrielle Schweinefleischproduktion. Wir machen uns auf die Suche: „Was gibt es sonst noch in Aragon? Und was wäre hier noch möglich?“

Unsere Suche führt uns in die Berge. Die Landschaft wird hier wieder viel kleinteiliger, die Wiesen grüner und statt den riesigen Schweineställen sehen wir hier kleine Häusergruppen und Dörfer. Unser Ziel ist das Chistau-Tal. Hier gibt es traditionell, wie in den gesamten aragonischen Pyrenäen, viel Tierhaltung. Vor allem die Wandertierhaltung hat hier die Entwicklung der Gemeinschaften maßgeblich geprägt. 

In dem kleinen Ort Plan im Chistau-Tal, auf 1000 m Höhe, treffen wir den Hirten Zacarías Fievet. Er erzählt uns, warum es jetzt eine Hirtenschule in Plan gibt und ob es aus seiner Sicht noch Hoffnung gibt für die Hirt:innen in Spanien.

Aragon, eine Schafregion?

„Aragon war nach der Region Extremadura die zweitwichtigste Schafregion in Spanien,“ erzählt uns Zacarías. Doch jetzt gibt es hier wie in ganz Spanien immer weniger Hirt:innen: „Vor 15 – 20 Jahren hatten wir noch 2,5 Mio Schafe nur in Aragon. Jetzt kommen wir nicht mal mehr an die Millionen ran.“, so Zacarías. Das ist fatal, denn Hirt:innen haben hier einen großen Teil zur Artenvielfalt beigetragen. Aufgrund der Trockenheit und Hitze im Sommer im Mittelmeerraum und der Kälte im Winter in anderen Teilen des Landes ist es schwierig, ein konstantes Futterangebot für die Tiere zu gewährleisten. Die Wanderweidewirtschaft (Transhumanz) hat sich hier bewährt: Je nach Saison werden die Tiere an unterschiedliche Orte gebracht. Auch heute noch kann ca. 88% der Fläche des Landes zeitweise als Weideland genutzt werden (1). 

Warum eine neue Schule in Plan?

Traditionell geben Hirt:innen innerhalb einer Familie ihre Kenntnisse selbst an die jungen Nachfolger:innen weiter. „Wir erleben hier mittlerweile immer häufiger, dass ältere Hirt:innen aufhören und keine jungen Menschen nachkommen. Viele junge Menschen aus dem Dorf wollen eine geregelte Arbeitswoche von Montag bis Freitag und ein Wochenende und ziehen in die Stadt.“, so Zacarías.

Vor 2 Jahren hat der Bürgermeister von Plan, José Serveto Matías, deshalb beschlossen, eine Schule aufzubauen – die 8. Hirt:innenschule in Spanien. Bei Zacarías klingelte das Telefon und José Serveto Matías fragte ihn direkt an, ob er nicht als Lehrer einsteigen möchte. Die Idee: Auch für junge Menschen, die nicht selbst vom Land kommen, soll das wertvolle Wissen der Hirt:innen zugänglich sein. In einer Zeit, die von Klimawandel und Ressourcenknappheit geprägt ist, möchte die Schule die bewährte Form der extensiven Tierhaltung wieder neu aufleben lassen und zeigen, wie zukunftsfähig und modern sie gedacht werden kann. Menschen wird eine Perspektive in ländlichen Gebieten aufgezeigt und damit die Kluft zwischen Stadt und Land verkleinert. 

Zacarías' treuer Hirtenhund vor dem Eingang zur Schule

Zacarías hat zugesagt: „Meine Eltern haben auch eine Hirtenschule in Frankreich, seit 40 Jahren und es funktioniert gut. Ich liebe es Wissen weiterzugeben. Als Hirte bin ich viel Zeit alleine in den Bergen, die Schule ist für mich eine gute Möglichkeit mein Wissen dann auch mit anderen zu teilen.“

Und es läuft gut: „Wir haben mehr Interessierte als Plätze in der Ausbildung.“ Zehn Menschen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Hintergründen durchlaufen jedes Jahr die 6-monatige Ausbildung, die meisten kommen aus der Stadt. Dazu gehören zwei Monate Theorie, zwei Monate Praxis mit Hirt:innen der Region und zum Schluss verbringen die Teilnehmenden zwei Monate in den Bergen in Begleitung von erfahrenen Hirt:innen. Die Schüler:innen lernen welche Krankheiten es gibt und wie sie die Schafe auf dem Feld versorgen können. Aber es geht auch darum zu lernen, wie sie Landkarten und das Wetter einschätzen können oder wie sie mit der Einsamkeit umgehen, wenn sie monatelang alleine mit den Tieren in den Bergen sind. Auch neue Methoden, wie der Umgang mit Drohnen, gehören mittlerweile zum Lehrplan dazu.

„Nach diesen sechs Monaten Ausbildung suchen wir zusammen mit den Hirt:innen nach Arbeit für sie. Wir versuchen sie darin zu unterstützen, kleine Produzierende zu werden, die sich selbst versorgen und direkt in die Umgebung vermarkten. Oder Hirt:innen, die einen Vertrag mit Tierhalter:innen mit einer größeren Herde von Schafen haben und für sie die Schafe hüten. Das ist z.B. etwas, dass du nach der Ausbildung gut machen kannst, wenn du nichts hast: Kein Land, kein Traktor, kein Geld, keine Schafe. Ich habe das für 7 Jahre gemacht und bin gut damit ausgekommen.“

Unterwegs grüßt Zacarías zwei Bekannte, deren Schafe die Straße blockieren – sie sind mit 80 Jahren immer noch als Hirt:innen aktiv.

Was treibt dich an?

Zacarías fährt mit uns zu einem Aussichtspunkt und zeigt uns, wo in den Bergen sie die Sommer mit den Schafen verbringen. „Auf die steileren Gebiete führen wir die Schafe, die flachen können auch die Kühe übernehmen“, erzählt er uns. 

Doch was motiviert ihn eigentlich als junger Hirte, gerade 27 Jahre alt, in die Berge zu ziehen und sein Wissen weiterzugeben? „Die Hirt:innen sind sehr wichtig hier, sie beschützen die Berge“, sagt er und zeigt auf die Berge in der Ferne, auf denen sich weite Weiden mit Wald abwechseln. “Indem sie durch das Grasen das Wachstum von Sträuchern einschränken, vermindern sie die Ausbreitung von Feuern in den Bergen. Außerdem erhöhen umherziehende Schafe die Biodiversität von Pflanzen und Insekten. Denn sie nehmen Samen in ihrem Fell und Dung mit und verteilen sie an verschiedenen Orten“, erklärt er. Und auch im Winter tragen die Tiere ihren Teil zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung bei: Nach dem Winter, in dem die Schafe in den Tälern im Stall sind, wird ihr Dung auf die Ackerflächen ausgebracht. „Wenn sie dann im Sommer in die Berge ziehen, kann es auf den Feldern wachsen.“ Die Hirt:innen reduzieren so die Notwendigkeit von synthetischem Dünger. Und auch für den Erhalt von einheimischen Tierrassen in Spanien sind die kleinen Tierhalter:innen wichtig. Mit dem Rückgang der Weidewirtschaft ist auch ihr Überleben gefährdet (1).

Zacarías fügt hinzu: „Es wundern sich vielleicht manche: Wer will schon mehrere Monate oben in den Bergen alleine in einer einfachen Hütte bleiben, nur mit den Schafen? Naja ich schon! Du wirst gut bezahlt einerseits. Und andererseits hast du dort einen Moment, den du niemals in der Stadt finden kannst. Einen Moment mit den Tieren, in der Natur, in der Wildnis. Freiheit.in den Bergen finde ich eine Freiheit, die es sonst schon gar nicht mehr gibt. Eine dreitägige Wanderung reicht dafür noch nicht aus. Nach drei Monaten, da spüre ich sie.“

Was muss politisch passieren?

Zacarías erklärt uns, dass nicht allen Hirt:innen ihre Tiere selbst gehören. „Die kleinen Viehhalter:innen hüten ihre Herde auch selbst. Aber die großen haben oft Menschen unter Vertrag, die mit ihren Tieren in die Berge ziehen.“

„Das Problem ist, dass Menschen aus dem Tal, die intensive Landwirtschaft betreiben, in die Berge kommen, um sich hier mehr Land zu holen.“  Der Grund? Nur wer Land besitzt bekommt Subventionen von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU. Zacarías hofft, dass sich dies mit der nächsten Reform der GAP ändern wird. „Am besten wäre es, wenn wir dafür gefördert würden, die Landschaft sauber zu halten, Weiden zu schützen und dadurch Feuer vorbeugen.“

Generell funktioniert es für extensive Tierhalter:innen in Aragon finanziell nicht gut. “Du brauchst hiernormalerweise noch eine andere Arbeit. Ich lebe nicht von meinen 70 Schafen, davon bleibt fast nichts übrig und auch von 200 Schafen kannst du nicht leben. Ich lebe davon, dass ich 3 Monate im Jahr in die Berge gehe als Hirte mit Vertrag.“ Auch Zacarías‘ Bruder, der 500 Schafe in extensiver ökologischer Haltung im Nachbartal hält, hat finanzielle Probleme und musste schon mehrere Kredite aufnehmen. „Du musst ganzen Tag lang arbeiten, passt auf die Felder auf, musst die Tiere versorgen, machst das Heu für den Winter. Trotzdem bleibt nur ganz ganz wenig.“

Und was bringt die Zukunft?

Ein großes Problem, das sich den Hirt:innen von Aragon bereits heute stellt, ist Wassermangel. „Eigentlich müsste hier gerade Schnee liegen“, erzählt Zacarías und zeigt auf die trockenen Berge. Es regnet viel zu wenig, und der Wald zieht das übrig gebliebene Wasser. Die Weiden werden immer trockener.

Zacarías wünscht sich, dass die ausgebildeten Menschen zukünftig trotz der schweren Bedingungen zu kleinen Produzierenden in der Umgebung werden oder als Hirt:innen in die Berge ziehen – und so der Beruf der Hirt:innen weiterlebt. Von anderen Menschen wünscht er sich politische Unterstützung, denn „die Leute, die Tiere halten, haben keine Zeit auf die Straße zu gehen – sie müssen auf die Tiere aufpassen.“  Deshalb ist es so wichtig, dass andere auf die Straße gehen und für sie kämpfen.

(1) Pasetti, F., R. Serrano, P. Manzano and P. Herrera. 2022. Accounting for pastoralists in Spain. League for Pastoral Peoples and Endogenous Livestock Development, Ober-Ramstadt, Germany.