Industrielle Tierhaltung in Spanien

Deutschland war jahrelang Europas größter Schweinefleischproduzent, vor kurzem wurde es von Spanien abgelöst. Weltweit ist Spanien aktuell sogar drittgrößter Schweinefleischproduzent nach China und den USA. Im Bereich der Geflügelproduktion liegen Deutschland und Spanien ungefähr gleichauf. Seit Mitte der 1990er Jahre entwickelt sich die industrielle Mast von Rindern, Geflügel und Schweinen, wie sie in Deutschland und insbesondere in Niedersachsen seit den 1960er Jahren entstanden ist, in Spanien. Seit einiger Zeit mit zunehmender Beteiligung deutscher Unternehmen.

 

Die spanische Fleischindustrie auf dem Weg zu neuen Superlativen

In Spanien wurden 2020 910 Mio. Tiere geschlachtet um 7,6 Mio. Tonnen Fleisch daraus zu gewinnen. Darunter 800 Mio. Geflügeltiere, 56 Mio. Schweine, 9,5 Mio. Schafe und 2,4 Mio. Rinder. Das macht ungefähr 30 Tiere/Sekunde die in Spanien jährlich geschlachtet werden. Die Fleischindustrie ist mittlerweile Spaniens viertgrößter Industriesektor (2). Gemessen an der Fleischproduktion anderer EU-Staaten wird allein in Spanien heute 22 % des in Europa erzeugten Schweinefleisch, knapp 24 % des Kalbfleisch und 12 % des Geflügelfleisch produziert.

Zwar wird in Spanien deutlich mehr rotes Fleisch gegessen als beispielsweise in Deutschland, trotzdem wird ein großer Teil des erzeugten Fleisches exportiert. Hochwertige Fleischteile wie Filetstücke werden vor allem in andere europäische Länder exportiert, in Europa weniger beliebte Teile wie Pfoten, Köpfe, Knochen, Innereien usw. vor allem in asiatische Länder wie China. Im Jahr 2021 generierte der Export von Fleisch und Fleischerzeugnissen ca. 8,8 Milliarden Euro; dies entspricht 14,6 % der gesamten spanischen Agrar- und Lebensmittelexporte (3).

Ungefähr 110.000 Arbeitnehmer:innen sind heute in der spanischen Fleischindustrie beschäftigt. Viele davon sind migrantische Arbeiter:innen, die in extrem prekären Verhältnissen teils gesundheitsgefährdende und anstrengende Akkord- Arbeit an den Fließbändern in Schlachthöfen und Verarbeitungsbetrieben, in Mastanlagen und im Transport erledigen. 

 

Mengenmäßiger Anteil verschiedener Fleischerzeugnisse an der gesamten EU-Produktion im Jahr 2021 in %.          
Quelle: EUROSTAT (2021).
Legende: Veal = Kalbsfleisch, Beef = Rindfleisch, Poultrymeat = Geflügelfleisch, Pigmeat = Schweinefleisch
Mengenmäßiger Anteil verschiedener Fleischerzeugnisse an der gesamten EU-Produktion im Jahr 2021 in %.          
Quelle: EUROSTAT (2021). Legende: Veal = Kalbsfleisch, Beef = Rindfleisch, Poultrymeat = Geflügelfleisch, Pigmeat = Schweinefleisch

Industrialisierung bedeutet Höfesterben – auch in Spanien

Wie auch in Deutschland ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in den letzten zehn Jahren in Spanien massiv zurückgegangen, während die Zahl der Tiere (v.a. Ziegen, Rinder und Schweine) gestiegen ist. So sind beispielsweise zwischen 2009 und 2020 50,3% der schweinehaltenden Betriebe verschwunden, während die Zahl der Tiere im gleichen Zeitraum um 21,8 % gestiegen ist.

 

Las Macrogranjas

Unter dem Begriff „Macrogranjas“, übersetzt „Megafarm“, werden in Spanien industrielle Mastanlagen diskutiert. Meist versteht man darunter Anlagen, die im Staatlichen Register für Emissionen und Schadstoffquellen (PRTR) erfasst sind. Konkret handelt es sich dabei um Anlagen mit mehr als 40.000 Geflügelplätzen, mehr als 2.000 Mastschweinen mit einem Gewicht von mehr als 30 Kilogramm oder mehr als 750 Zuchtsauen. Diese Anlagen sind hochtechnisiert und automatisiert. Auf sehr geringem Raum weisen sie extrem hohe Produktionskapazitäten an tierischen Produkten, vor allem Fleisch, auf. Die Tierhaltung erfolgt hier überwiegend flächenlos. Das heißt, die Betriebe haben keine eigenen oder nur sehr wenige Flächen, auf denen sie Futter für ihre Tiere gewinnen oder organischen Dünger (Gülle & Mist) ausbringen.

In Spanien gibt es nach Angaben des PRTR derzeit 3.765 dieser Makrobetriebe für die Intensiv-Aufzucht und -Mast von Geflügel und Schweinen (5). Diese Anlagen finden sich überall im Land verteilt, aber besonders gehäuft in der Region Murcia (an der Mittelmeerküste), Aragon (Nord-Zentralspanien) und Katalonien.

Schweinemastbetrieb in Zentralspanien; hier mit vorschriftsSchweinemastbetrieb in Zentralspanien, iStock.com / JackF.mäßig eingefasstem Güllebecken. Häufig laufen diese jedoch über oder sind nicht auslaufsicher eingefasst. iStock.com / JackF.
Schweinemastbetrieb in Zentralspanien; hier mit vorschriftsmäßig eingefasstem Güllebecken. Häufig laufen diese jedoch über oder sind nicht auslaufsicher eingefasst. iStock.com / JackF.
Schweinemastbetrieb in Zentralspanien, iStock.com / JackF.
Schweinemastbetrieb in Zentralspanien, iStock.com / JackF.

Auswirkungen

Demografischer Wandel

Spanien hat seit Jahren mit einem sehr viel höheren Bevölkerungsverlust in ländlichen Räumen zu kämpfen als Deutschland. Betreiber:innen von Megafarmen versprechen den ländlichen Gemeinden Gewerbeeinnahmen und Arbeitsplätze durch ihre Betriebe. Die meisten der Gemeinden mit sog. Macrogranjas haben heute weniger als 5.000 Einwohner:innen.

Diese Versprechen bewahrheiten sich jedoch nicht: Die Megaanlagen sind hoch automatisiert und benötigen nur wenige Arbeitskräfte. Verglichen mit Familienbetrieben bieten sie viermal weniger Arbeitsplätze (6). Durch die Emissionen der Anlagen verschlechtert sich die Luftqualität. Geruchsbelästigung ist an der Tagesordnung. Der Verkehr nimmt zu, schwere Lastwagen, die Futtermittel und Tiere transportieren, bringen Lärm mit sich und verbreiten Schädlinge wie Fliegen und Insekten. Auch die Attraktivität für Tourismus, der ein wichtiges Standbein für die sterbenden ländlichen Gemeinden sein könnte, nimmt ab. Neue Zahlen des Nationalen Institut für Statistik (INE) bestätigen, dass 75 % aller Gemeinden mit mindestens einem großen Schweinezuchtbetrieb einen Bevölkerungsverlust erlitten haben.

 

Umwelt

Wasser: 22 % der Oberflächengewässer und 23 % des Grundwassers in Spanien sind derzeit mit Nitrat verschmutzt. Die Europäische Kommission hat Spanien (ebenfalls wie Deutschland) vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil es systematisch gegen die EU-Nitratrichtlinie verstößt und keine Maßnahmen zur Verhinderung der Wasserverschmutzung ergreift.

Luftverschmutzung: Die industrielle Tierhaltung ist für 94 % der gemeldeten Ammoniakemissionen im Sektor im Jahr 2020 verantwortlich (PRTR), davon stammen 69 % aus der Schweine- und 25 % aus der Geflügelhaltung. Kurioserweise sind Rinder von der Meldung ihrer Emissionen ausgenommen. Wie auch bei Nitrat verstößt Spanien gegen die Emissionsgrenzwerte, die von der EU festgelegt wurden (7). Während in Deutschland Güllebecken mittlerweile abgedeckt und fest eingefasst sein müssen um Emissionen und Eindringen ins Erdreich zu vermeiden, lagert Gülle in Spanien im Freien. Berichte von Umweltorganisationen zeigen, wie diese Becken überlaufen und die Löcher nicht ausreichend abgedichtet sind, sodass Gülle permanent ins Erdreich eindringen kann. Verstöße von Behörden werden mangelhaft geahndet.

Treibhausgase: Als einziger Sektor hat der Agrarsektor seine Treibhausgasemissionen im Jahr 2020 erhöht, und zwar zu einem großen Teil aufgrund von Emissionen aus der Viehzucht. Die Methanemissionen – das zweithäufigste emittierte Treibhausgas in Spanien – sind ein klarer Beweis für den Beitrag der Viehzucht zur Klimakrise: Der Agrarsektor ist für 63 % der gesamten Methanemissionen verantwortlich und innerhalb dessen sind 98 % davon auf die industrielle Tierhaltung zurückzuführen (8).

Biodiversität: Wie auch in Deutschland und anderen Ländern mit industrieller Massentierhaltung trägt die flächenungebundene Tierhaltung in Spanien zum massiven Biodiversitätsverlust weltweit bei, da ein Großteil der Futtermittel importiert wird. Weltweit werden 71 % der verfügbaren Flächen für den Tierfutteranbau benutzt. Immer mehr kommen durch die Rodung artenreicher Urwälder und Savannen oder die Trockenlegung von wichtigen Mooren hinzu. In Spanien sind aktuell ca. 66% der Flächen im Inland für Futtermittelanbau belegt und stehen somit nicht mehr für menschliche Ernährung oder Artenschutz zur Verfügung (9).

 

Widerstand formiert sich

Lange war der Widerstand gegen die massive Industrialisierung der Tierhaltung in Spanien gering. Den Konzernen spielte in die Hände, dass der ländliche Raum in Spanien dünn besiedelt ist und Kommunen dringend auf Gewerbeeinnahmen und Arbeitsplätze angewiesen sind. Seit jedoch die negativen Umweltwirkungen so massiv zutage treten, Flüsse in ländlichen Regionen ökologisch tot sind und Trinkwasser in Gemeinden nicht mehr konsumierbar ist, erstarkt der Widerstand. Mittlerweile gibt es das nationale Bündnis „Stop Ganaderia Industrial“, in dem sich sieben große Umweltorganisationen und um die 70 Bürger: inneninitiativen zusammengeschlossen haben um ihren Widerstand gegen die Tierfabriken zu bündeln.

 

Das Bündnis fordert:

  1. Ein Moratorium für Stallbauten ohne Ausnahmen: keine neuen Makrofarmen oder Erweiterungen.

  2. Einen Plan zur schrittweisen Verringerung der Anzahl der Tiere, bis die erzeugten Abfälle mit den Kapazitäten für eine nachhaltige Behandlung und Nutzung im Gleichgewicht sind.

  3. Effektive Kontrollmaßnahmen und Sanktionen für Verursacher:innen von Umweltschäden.

  4. Klare und einheitliche Kennzeichnung, die es den Verbraucher:innen ermöglicht, die Herkunft und das Tierhaltungsmodell (extensiv oder industriell) aller Lebensmittel tierischen Ursprungs direkt zu erkennen.

  5. Weniger, dafür aber qualitativ hochwertigeres Fleisch zu konsumieren: In Spanien werden nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums pro Person und Jahr fast 50 Kilo Fleisch verzehrt, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt einen Wert von 21 Kilo.

Beispiel: Die Schweinehochburg Aragon (10)

In Aragon gibt es derzeit 1.005 industrielle Schweinezucht- und Mastbetriebe, die aufgrund ihrer Größe verpflichtet sind, ihre Emissionen zu melden. Der aragonische Durchschnitt liegt bei 4.064 Schweinen pro Betrieb. Sie sind für 14 % der gesamten Methanemissionen verantwortlich, die von großen Schweinebetrieben in Spanien in die Atmosphäre abgegeben werden.

Ende 2020 wurden allein in Aragon ca. 8 Mio. Schweine gehalten. Seit 2015 ist der Schweinebestand um 35 % gewachsen.

2019 wurden in den Schweinemastbetrieben der Region 11,7 Millionen Kubikmeter Gülle produziert, was der Menge von 3.500 olympischen Schwimmbecken entspricht. Es fehlt an Flächen, auf der so viel Gülle ausgebracht werden kann. Nach neusten Untersuchungen sind 25-30 % der landwirtschaftlichen Flächen in der Region Aragon überdüngt, insbesondere im Umfeld großer Betriebe. Die Betreiber:innen der Megafarmen bringen einen großen Teil der anfallenden Gülle auf Flächen in räumlicher Nähe aus, da, wie der Sektor selbst erklärt, jede Verbringung der Gülle über 5 km Entfernung aufgrund der Transportkosten zu teuer ist.

Keine Sauerei ohne Tönnies (11)

Nachdem in Deutschland jahrelang ähnliche Zustände geherrscht haben, wie die die sich gerade in Spanien abzeichnen, gibt es hierzulande erste zaghafte politische Gegenmaßnahmen. Die Düngegesetzgebung wird (zwar viel zu lax) nachgeschärft, Tierwohlstandards (auch viel zu lax) werden erarbeitet, Arbeitnehmer:innenrechte gestärkt und der Mindestlohn auch für die Branche eingeführt. Das lässt Fleischoligopolisten, wie den Marktführer Tönnies, unruhig werden. Gierig greift er deshalb nun nach Spanien.

Bereits den zweiten Mega-Schlachthof lässt Clemens Tönnies gerade unter dem Firmennamen Aragón Matadero, S.L. in der Region Aragon errichten. Spanischen Lokalmedien zufolge sollen dort 10.000 Schweine pro Tag in zwei Schichten geschlachtet werden, im Jahr 2,4 Mio. Tiere. Der Bau soll 75 Mio. Euro kosten. Direkt nebenan lässt Tönnies eine Produktionsanlage für die Herstellung von verzehrfertigen Schweinefleischprodukten, wie bspw. Wurst, bauen. Der neue Schlachthof von Tönnies müsste von allen Mastanalgen im Umkreis von 200 km versorgt werden um ausgelastet zu sein. Welche Zunahme von Anlagen in der bereits extrem verschmutzten Region das bedeutet, lässt sich so leicht vorstellen.

1.000 neue Arbeitsplätze soll der hochautomatisierte Schlachthof schaffen. Daran glaubt die Lokalpolitik gerne und selbst der Präsident der Region Aragon lässt sich zitieren, dass er im Hintergrund bei der Einfädelung des Deals beteiligt war, der für ihn selbst ein „Industriezweig von unglaublichem Ausmaß“ sei.

Das komplette Industriegebiet des kleinen Dörfchens Calamocha wird umstrukturiert und neu erschlossen um den Megaschlachthof unterzubringen. Clemens Tönnies reiste eigens in das 5.000 Einwohner:innen-Dorf um beim Bürgermeister für eine schnelle und reibungslose Genehmigung zu werben. Hier gibt es nette Fotos von dem Treffen.

Neben diesem neuen Prestigeprojekt kaufte Tönnies bereits 2016 einen insolventen Schlachthof im nur 80km entfernten Dorf Mata de Los Olmos (261 Einwohner:innen), der aktuell ebenfalls – teils mit staatlicher Förderung – erweitert wird. In diesem Schlachthof verstarb im August 2022 ein

 

Karte von Spanien mit Tönnies Schlachthöfen, eigene Darstellung.
Google Satellitenaufnahme von dem Tönnies-Schlachthof in Mata de los Olmos, Aragon, in dem letztes Jahr ein Arbeiter ums Leben kam. Copyright: Bilder @ 2023 CNES / Aribus Maxar Technologies. Kartendaten @ 2023 Inst. Geogr. National. 50m.
Google Satellitenaufnahme von dem Tönnies-Schlachthof in Mata de los Olmos, Aragon, in dem letztes Jahr ein Arbeiter ums Leben kam. Copyright: Bilder @ 2023 CNES / Aribus Maxar Technologies. Kartendaten @ 2023 Inst. Geogr. National. 50m.

Arbeiter bei einem Unfall. Gewerkschaften und Aktive vor Ort machten auf den mangelnden Arbeitssicherheitsschutz vor Ort aufmerksam. Folgen für Tönnies? Nicht bekannt.

30 % des Wassers in Aragon ist durch Gülle und Co. verschmutzt. Seit Tönnies in der Region aktiv wurde, ist der Schweinebestand stark gewachsen. Fazit: Die Bestände – und damit Umweltverschmutz-ungen – haben sich massiv erhöht, Menschen sterben in Tönnies Schlachthöfen. Wird die Tierhaltung in Deutschland für Fleischkonzerne weniger profitabel, lebt es sich für Tönnies in Spanien anscheinend ganz komfortabel.