OpenSourceSeeds

Weltweit nimmt die Zahl der Eigentumsrechte auf Saatgut durch Sortenschutz und Patente zu. Die meisten Patente auf Saatgut liegen in der Hand von wenigen global agierenden Konzernen. Diese beherrschen den größten Teil des kommerziellen Saatgutmarkts. Auch sogenannte „alte” Sorten können unter Sortenschutz fallen. Denn eine Sorte kann nicht nur von Züchter*innen eingetragen werden, sondern auch von einer Person, die diese „entdeckt” hat. Das kann dazu führen, dass eine Sorte, die in ländlichen Gemeinschaften seit Generationen angebaut, getauscht und weitergereicht wurde, plötzlich für die Nutzer*innen nicht mehr frei verwendbar ist. Dieses Szenario ist real und bekannt als sogenannte Biopiraterie.

Es geht also um die Frage, ob wir eine Privatisierung unserer Kulturpflanzen zulassen möchten, die das Ergebnis von jahrhundertelanger Züchtungsarbeit und Grundlage der Ernährung vieler Menschen sind.

Saatgut

Wir haben mit Johannes Kotschi von Agrecol gesprochen, der mit einer Gruppe von Pflanzenzüchter, Agrarwissenschaftlern und Commons-Fachleuten die Open-Source Saatgut- Lizenz entwickelt hat. Die Lizenz war die erste dieser Art, inzwischen gibt es weitere. Durch sie wird Saatgut als Gemeingut geschützt – und zwar im Rahmen des international gültigen Zivilrechts. Bisher wurden in Deutschland eine Paprikasorte, drei Tomatensorten, eine Zuckermaissorte, drei Getreidesorten und eine Kartoffelsorte mit der Open Source-Lizenz ausgestattet.

Die Anfänge

Im Jahr 2012 gründete sich eine Saatgut-Initiative, inspiriert von dem Prinzip einer „quelloffenen“ Lizenz im Softwarebereich. Die Gründungsmitglieder waren davon überzeugt, dass so eine Open Source-Lizenz auch auf Saatgut anwendbar sein müsste, dass man Saatgut durch eine Lizenz vor Privatisierung und vor der Beanspruchung geistiger Eigentumsrechte schützen könne. Und tatsächlich – nach vier Jahren Arbeit stellten sie 2016 erstmals ihre Lizenz im Rahmen eines Treffens verschiedener internationaler Saatgut-Initiativen vor. Diese Lizenz erlaubt, dass das Saatgut von Dritten frei genutzt, vermehrt und züchterisch bearbeitet werden darf. Als einzige Einschränkung ist es lediglich untersagt, das Saatgut und seine züchterischen Weiterentwicklungen zu privatisieren. Bei jeder Weitergabe des Saatguts werden an die Empfänger*innen die gleichen Rechte und Pflichten übertragen. Die Sorte bleibt also Gemeingut für alle! Und jetzt? Warum macht das nicht jeder?

So ging es weiter

Als erstes stellte sich die Frage: Wie kann man verhindern, dass die Idee wieder ungenutzt in der Schublade verschwindet? Der Verein Agrecol gründete daher 2017 die Plattform OpenSouceSeeds. Diese spricht nicht nur Züchter*innen an, sondern auch Akteure des Handels, verarbeitender Betriebe und Verbraucher*innen.

Wenn die Öffentlichkeit sagt ‘Wir wollen Lebensmittel aus frei zugänglichem Saatgut!’, dann kann das eine Sogwirkung erzeugen, der auch die Pflanzenzüchtung stärker folgen wird”, so Johannes Kotschi von Agrecol.

Bisher fand die Initiative in der Öffentlichkeit viel Zustimmung. Ökologische Pflanzenzüchter*innen, bei denen für diese Strategie geworben wurde, reagierten zum Teil noch etwas zögerlich. Einzelne wollen auf den Sortenschutz als Quelle für die Finanzierung ihrer Züchtungsarbeit nicht verzichten, auch wenn die Einkünfte daraus gering sind. Andere verzichten aus Prinzip ganz auf den Sortenschutz und stellen ihr Saatgut frei zur Verfügung. Obwohl das die Gefahr der Aneignung durch Konzerne birgt, scheinen viele Züchter*innen die rechtliche Absicherung als zu aufwändig zu empfinden, oder sie sehen gar keine Notwendigkeit dafür.

Pflanzenzüchtung: Kastration einer Gerstenähre

Pflanzenzüchtung: Kastration einer Gerstenähre

Weizen Convento für Brotprojekt auf dem Krumbecker Hof

Wie finanziert sich Open Source-Saatgut?

Zentral ist die Frage, wie sich freie, unabhängige Züchtung finanzieren lässt. OpenSourceSeeds arbeitet intensiv daran und hat in einem Diskussionspapier neue Ideen vorgestellt. Die Kernforderung: „Pflanzenzüchtung hat nicht nur die Aufgabe ein Nahrungsmittel auf den Markt zu bringen, sondern sie fördert auch Kulturlandschaften und mit ihnensauberes Wasser, reine Luft und fruchtbaren Boden. Und für all dies braucht es biologische Vielfalt. Wenn man das so weit denkt, dann muss man Pflanzenzüchtung und ihre Finanzierung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sehen.

Dazu gibt es die Idee, die gesamte Wertschöpfungskette in die Finanzierung einzubeziehen. Wie das funktionieren kann, könnt ihr in unserem ersten Steckbrief über das Regionalsorten-Brot nachlesen. Wenn alle Akteure beteiligt werden, wird Züchtung zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Dazu gehört auch die Forderung, den Staat in die Finanzierung der Züchtung einzubeziehen, da unabhängige vielfältige Züchtung dem Gemeinwohl dient.

Und schützt so eine Lizenz vor dem Einsatz von Gentechnik?

Der Einsatz von Gentechnik bei der züchterischen Bearbeitung von Open Source Sorten wird durch die Lizenz nicht ausdrücklich verboten. Es gibt jedoch einen indirekten Schutz: Gentechnik-Verfahren sind zeitintensiv und erfordern hohe Investitionen, die im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich liegen können. Diese hohen Kosten lohnen sich für Unternehmen nur, wenn die neu entwickelten Sorten über Patente gesichert werden können. Doch genau diese werden durch die Open Source-Lizenz ausgeschlossen. Deshalb ist der Einsatz von Gentechnik an Open Source-Saatgut uninteressant.

Was ist die Vision des Projektes?

OpenSourceSeeds hat die Vision neben dem bestehenden, privaten Saatgutsektor einen zweiten, gemeingüterbasierten Sektor zu etablieren und zu einem festen Bestandteil der Saatgutzüchterlandschaft zu machen. So sollten in Zukunft für alle wichtigen Kulturpflanzen auch freie Sorten zur Verfügung stehen, die ökologisch gezüchtet und genetisch vielfältig sind. Diese Sorten müssen dann natürlich sowohl für den Erwerbsanbau, als auch für private Kleingärtner*innen verfügbar sein. Ob die Vision gelingt, wird dabei auch von den Lebensmittel-Konsument*innen abhängen. Durch das Konsumverhalten der Gesellschaft entscheidet sich, welche Art von Saatgut und damit welche Art von Züchtung unterstützt wird. Dazu Johannes Kotschi:

Begonnen hat das ja schon. Eine Reihe der Open Source lizenzierten Sorten sind inzwischen regulär im Handel erhältlich, und einzelne, wie die Tomate Sunviva sind sehr beliebt. Ich wünsche mir, dass in 10 Jahren für alle wichtigen Kulturpflanzen Open Source-Sorten im Handel erhältlich sind.”

Nicht nur bei uns ein Thema!

Gerade für Länder des Globalen Südens ist der Open Source-Gedanke wichtig. Er muss in jenen Ländern Eingang in die Landwirtschaft finden, weil dort der Prozess der Privatisierung von Saatgut im Moment besonders schnell voranschreitet. Unter dem Gesichtspunkt, dass Kleinbauern einen Großteil der Ernährungssicherheit in den Händen halten, muss Saatgut weiterhin Gemeingut bleiben. Es ist deshalb schön zu sehen, dass sich immer mehr Initiativen gründen, die für das Recht auf Saatgut der Bäuerinnen und Bauern vor Ort und gegen die Privatisierung durch Konzerne kämpfen. Die Open Source-Lizenz stellt in diesem Kampf ein mächtiges Werkzeug dar.

opensourceseeds-org

Was wir mitnehmen können

Das Thema Saatgut fehlte zu lange im öffentlichen Bewusstsein und wurde zu lange der Privatwirtschaft überlassen. Mit der freien, ökologischen Pflanzenzüchtung wurde eine Alternative entwickelt, bei der die Eigentumsfreiheit von Saatgut eine zentrale Rolle spielt.“ Diese ist Voraussetzung für die Erhaltung und Weiterentwicklung pflanzengenetischer Vielfalt durch viele kleine und mittelständische Züchter*innen. Durch die Lizenz kann ein freier Zugang geschaffen und erhalten werden.

Saatgut betrifft nicht nur Bäuerinnen und Bauern, sondern uns alle, denn letztlich bildet es die Grundlage unserer Ernährung. Den ungehinderten Zugang zu Saatgut zu ermöglichen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – in Europa genauso wie in Ländern des Globalen Südens. Initiativen wie OpenSourceSeeds gehen mit gutem Beispiel einen neuen Weg.

Alle Fotos wurden uns von OpenSourceSeeds zur Verfügung gestellt. Danke!


Förderung FEB