Seed Savers Network Kenya

‘Mbegu ndiu managwo’ – Niemand kann dir ein Samenkorn verweigern

Das Jahr 2009: Ein kleiner kenianischer Verein stemmt sich gegen die Grüne Revolution und damit gegen die von der Regierung propagierte Agrarpolitik einer industriellen Landwirtschaft. Gemeinsam mit einer Hand voll Kleinbäuer*innen rund um den Ort Gilgil in der Region Nakuru setzte sich Seed Savers Network Kenya dafür ein, über die Bedeutung von indigenem und gentechnikfreiem Saatgut aufzuklären.

Mit Erfolg! Gut 10 Jahre später hat Seed Savers Network Kenya ein Netzwerk von über 50.000 Bäuerinnen und Bauern aufgebaut, die das Saatgut lokaler Sorten in lokalen Saatgutbanken sichern und erhalten. Dabei verfolgt die Graswurzelbewegung vielfältige Ziele: Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, eine unabhängige Nahrungsmittelproduktion, Agrarökologie und die Stärkung der Rechte von Frauen. Über allem steht dabei der freie Zugang zu lokal angepasstem Saatgut.

Die Anfänge

Daniel Wanjama, Gründer von Seed Savers Network Kenya, wuchs auf dem Land auf. Sein Dorf war geprägt von kleinstrukturierter Landwirtschaft, die Menschen bauten auf ihren Feldern an, was sie aßen. Dabei waren sie frei zu entscheiden, welche Sorten und Kulturpflanzen sie anbauen wollten. Doch Daniel verließ das Dorf und besuchte eine landwirtschaftliche Hochschule. Er fand eine Anstellung im Ministerium für Landwirtschaft und erlebte dort, dass die Regierung eine ganz andere Art der Landwirtschaft propagierte.

“Dort im Ministerium wurde mir bewusst, dass die Regierung eine Art Grüne Revolution förderte. Auf der anderen Seite aber sah ich die Kleinbauern, die winzige Flächen bewirtschafteten. Zwei Hektar, manchmal auch nur einen. Und sie stellen mit 70% der Bevölkerung die Mehrheit in Kenia dar. Die Technologie einer Grünen Revolution passte überhaupt nicht auf ihre Bedürfnisse.”

Die Anbaumethoden der Kleinbäuer*innen zielten nicht in erster Linie auf den Verkauf von Lebensmittel auf dem Markt ab. Sie dienten der Selbstversorgung ihrer Familien, nur Überschüsse wurden auf dem Markt verkauft. Das Landwirtschaftsministerium wollte nun, dass die verschiedenen Feldfrüchte durch eine einzige Kultur abgelöst werden. Die Ernte sollten die Bäuer*innen verkaufen und auf diese Art Geld verdienen. Daniel Wanjama fiel schnell auf, das dieses System kein passendes Mittel gegen den Hunger darstellte.

“Wenn im ganzen Dorf nur eine Kultur angebaut wird, gibt es keinen Markt dafür. Es muss ja auch Konsumenten für das Produkt geben. Dieses Produkt ist aber nicht das, was die Leute ernährt. Die industrielle Landwirtschaft versagt hier in großem Maße und diese Art der Politik belügt die Leute.”

Denn die Bäuer*innen verlieren damit die Unabhängigkeit ihrer Lebensmittelproduktion. Zusätzlich gefährden die industriellen Anbautechniken mit ihren mineralischen Düngern und chemischen Spritzmitteln die biologische Vielfalt, die Bodenfruchtbarkeit und die Gesundheit der Menschen. Die Menschen befürchten, dass den Agrochemiekonzernen von der Politik der Einzug auf ihre Felder gewährt wird und das auf Kosten der Ernährungssouveränität. Seed Savers Network Kenya will dem etwas entgegensetzen:

“Wir müssen Alternativen aufzuzeigen. Das beinhaltet eigenes Saatgut zu verwenden, eigenen Dünger, in Form von Gülle und Mist, angepasste Anbaumethoden und altes Wissen, so dass wir unsere Kinder und Familien mit gutem Essen versorgen können.”

Der Trend ist sehr ernst zu nehmen

2019 dokumentierte der Verein den Verlust von 34 Sorten, die in den letzten Jahren alleine in den Dörfern um Gilgi verloren gegangen waren. 65 Sorten mussten als gefährdet eingestuft werden, weil sie kaum noch angebaut werden.

“Der Trend ist also sehr ernst zu nehmen. Viele Arten gehen verloren und unserer Meinung nach ist ein Teil des Problems, dass wir eine Agrarpolitik übernommen haben, die nicht zu unserer kleinbäuerlichen Landwirtschaft passt.”, schlussfolgert Daniel Wanjama.

Für den Verlust der Saatgutvielfalt macht Daniel Wanjama außerdem verantwortlich, dass es mittlerweile verboten ist, nicht-lizenziertes Saatgut zu handeln, obwohl sich gerade diese Praxis seid Jahrhunderten bewährt hat. Heutzutage muss jedes Saatkorn einen Besitzer haben. Eine Sorte in Kenia beim zuständigen Amt (Kephis) registrieren zu lassen kostet umgerechnet ca. 3.650€. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Kenia beträgt ca.1.300€. Um eine Sorte anzumelden, benötigt man aber nicht nur viel Geld. Man muss auch umfassendes Hintergrundwissen besitzen, um den anspruchsvollen Antrag schreiben zu können. Um die Investition einer Registrierung wieder auszugleichen, muss aus der Anmeldung Profit entstehen. Firmen vermarkten deshalb die registrierten Sorten intensiv, wodurch Bauern immer häufiger auf kommerzielle Sorten zurückgreifen. Alte Sorten werden nicht mehr vermehrt und gehen auf diese Weise verloren.

Seed Savers Network Kenya arbeitet dagegen an, indem der Verein Märkte organisiert, auf denen altes Saatgut getauscht und weiter gegeben werden kann. Sie beraten Bauern und Bäuerinnen zu ökologischer Landwirtschaft, Düngerherstellung, Agrobiodiversität, Saatgutgewinnung und -lagerung. Die Samenbanken werden von Gemeinschaften etabliert und eigenständig gepflegt. Auch konnte Seed Savers Network Kenya erste Erfahrungen mit einem Open Source Seeds System machen (was das ist, könnt ihr hier lesen). Trotz seiner limitierten Ressourcen versucht der Verein eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, beispielsweise mit Radiobeiträgen, um über die Bedeutung von freiem Saatgut und einer nachhaltigen Landwirtschaft zu berichten. Dass sie dabei kritisch über die Agrarindustrie berichten, bringt ihnen nicht immer nur positives Feedback ein.

Welche Vision hat Seed Savers Network Kenya?

“Wir wollen sichergehen, dass Kleinbauern sich selbst versorgen können und das ist ja auch das, was sie selbst wollen. Ich denke, dass die Idee sich selbst mit Nahrung zu versorgen, sowie die Idee sich um die Umwelt und seine Mitmenschen zu kümmern, nachhaltiger ist als jede andere Herangehensweise. Hier in Kenia kann ich beobachten, dass wir um so erfolgreicher mit unseren Programmen sind, je mehr die Leute ihre Situation selbst in die Hand nehmen.” ,

beschreibt Daniel Wanjama die Ziele von Seed Savers Network Kenya. Die allgemeine Bildung und das Verständnis für ökologische und politische Zusammenhänge hat sich in den letzten Jahren merklich gebessert. Daniel Wanjama hofft, dass es bald nur noch einen kleinen Anstupser in Form einer Kampagne braucht, der die Menschen animiert sich für eine Politik einzusetzen, die ihren Bedürfnissen gerecht wird.

“Ich denke wir können positiv in die Zukunft blicken. Je länger wir diese Arbeit hier machen, desto mehr Menschen unterstützen uns darin. Wir haben eine Tauschbörse organisiert, auf der uns der Landwirtschaftsminister dafür gelobt hat, dass wir alte Sorten erhalten: ‘Wie konnten wir diese nur verlieren? Ihr bringt sie zurück, eure Arbeit ist sehr wichtig!’”

Ein Blick in die Zukunft

Die meisten Jugendlichen in Kenia haben erlebt, wie ihre Eltern versucht haben, mit fast nichts zu überleben. Sie haben gesehen, dass die industrielle Landwirtschaft auf ihren Feldern nicht funktioniert Die Jugend spielt eine zentrale Rolle in der Erhaltung der agrarökologischen Grundlagen. Auch im Hinblick auf die Rolle der Landwirtschaft im Klimawandel und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft werden sie noch stärker betroffen sein. Wie sie sich aktuell schon für einen nachhaltige Landwirtschaft einsetzen können, dazu bietet Seed Savers Network Kenya verschiedene Workshops an. Der Verein geht bereits an Grundschulen um dort Schulgärten aufzubauen. Kinder, deren Familien sich kein Mittagessen leisten können, bekommen dann in der Schule wenigstens ein Obst in der Pause. Das Wissen um nachhaltige Anbaumethoden bringen die Kinder dann wieder mit nach Hause, denn fast alle Kinder kommen aus Familien, die in kleinem Maßstab Landwirtschaft betreiben. Was sie außerdem mitnehmen, ist das Selbstbewusstsein darüber, in der Lage zu sein ihr eigenes Essen anbauen zu können.


Die Fotos wurden uns von Seed Savers Network Kenya zur Verfügung gestellt. Danke!

Hier gibt es auch noch einen anschaulichen Artikel über den bäuerlichen Arbeitsalltag in der Region Gilgil auf deutsch: https://www.2000m2.eu/de/category/blog-de/global-de/gilgil-de/


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