apfel:gut

Neue Äpfel braucht das Land

Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch … eine Apfelblüte bestäuben. Moment mal. Äpfel bestäuben und züchten? Was machen die denn da und wie geht das überhaupt? Werden Äpfel nicht alle veredelt? Wir haben mit Matthias Ristel von der ökologischen Kernobst-Züchtungsinitiative apfel:gut e.V. gesprochen und haben viele fruchtbare Antworten bekommen.

Wieso Apfelzüchtung?

Die Idee, die ökologische Kernobstzüchtung selbst in die Hand zu nehmen, entstand um das Jahr 2011. Anstoß dafür gegeben hatte die Tatsache, dass die moderne Apfelzüchtung mehr und mehr mit Labortechniken durchgeführt wird und gentechnische Eingriffe vorgenommen werden. Dabei spielt die Hoffnung, die Sorten nicht nur mit Sortenschutz sondern darüber hinausgehenden Patenten anmelden zu können, eine Rolle. Solche Sorten wären für die weitere Züchtung nicht mehr legal zugänglich. Zudem lassen sich die modernen Apfelsorten der letzten Jahrzehnte fast durchgängig auf wenige und obendrein hoch krankheitsanfällige Stammelternsorten zurückführen. Deshalb sind die heutigen Supermarktsorten – im Gegensatz zu vielen traditionellen Apfelsorten – deutlich stärker von Krankheiten wie Schorf, Mehltau und Obstbaumkrebs befallen, mit der Folge, dass diese Sorten auch im biologischen Anbau oft bis zu 40x mit Schwefel (und z.T. auch Kupfer) behandelt werden müssen. Eine Gruppe motivierter Obstbauern und -bäuerinnen war mit dieser Situation äußerst unzufrieden und wollte dem etwas entgegensetzen. Denn „wenn wir zur Agro-Gentechnik nein sagen, wäre es ja auch schön, wenn wir zu etwas ja sagen können“.

Startschuss und erste Früchte

So hat sich eine Gruppe Motivierter zusammengefunden, um einen neuen Weg in der Obstzüchtung einzuschlagen. Die Idee war, die große Vielfalt und Vitalität alter und besonderer Apfelsorten zu nutzen und diese breite genetische Vielfalt in neue Sorten einzukreuzen. 2009 wurden die ersten Kreuzungen vorgenommen und 2011 die ersten Jungbäume auf verschiedene Standorte verteilt. Das Ziel war es, robuste, gesündere Bäume zu entwickeln, die weniger Pflanzenschutz benötigen und im ökologischen Landbau gut funktionieren. Insbesondere seit den starken Frösten im April 2017 möchte apfel:gut auch Sorten entwickeln, die robuster gegen Spätfröste sind, um auch auf neue klimatische Herausforderungen zu reagieren.

Mittlerweile sind in dem Projekt apfel:gut 9 Zuchtgärten auf sehr unterschiedlichen Bio-Obstbetrieben aus ganz Deutschland vereint, zwei mobile Züchter, ein Pomologe, eine Biologin und ein Obstbauberater mit dabei. Der Verein ist aus den Kinderschuhen hinausgewachsen und auch die Züchtung selbst trägt schon erste Früchte: 2019 wurde die erste Apfelsorte „Wanja“ als Amateursorte angemeldet. Ein Herbstapfel, der von der Goldparmäne abstammt und als später blühende Sorte gegenüber Frostereignissen robuster ist. Dabei hat Wanja eine besondere Aromatik und Süße und hat sich bei Vergleichsverkostungen bei vielen Gaumen beliebt gemacht. [1] „Wanja ist dabei hoffentlich nur der Anfang von einer Reihe von Äpfeln, die in den nächsten Jahrzehnten von uns kommen werden.“

Partizipative Züchtung

Doch nicht nur die Idee, selber ökologisches Kernobst zu züchten, ist ungewöhnlich. Auch die Organisation der Gruppe ist anders als man sie zumeist in der Züchtung vorfindet. Denn die Züchtungsarbeit von der Kreuzung bis zur Jungbaumaufzucht findet dezentral, gemeinschaftlich, horizontal organisiert und in enger Zusammenarbeit mit den Partnerbetrieben statt. Sie ist partizipativ! „Wir hatten immer den Anspruch, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und dass nicht irgendwer der Chefzüchter ist. Sondern wir haben uns sehr basisdemokratisch organisiert und viel miteinander kommuniziert!“ Vereinen tut sie dabei die Tatsache, dass die Züchtung „eine sehr schöne Arbeit ist und wir viele Akteure und Akteurinnen sind, die das, was sie machen, sehr sinnvoll finden und sich dabei sehr solidarisch aufeinander beziehen. […] Partizipativ bedeutet für uns nicht, dass die Bauern einfach nur Dienstleister des Züchters sind und die Kulturen pflegen, sondern wir verstehen das als farmer led breeding, wo der Bauer selbst sagt: Hey, das funktioniert bei mir gut, damit müssen wir züchten oder Nachkommen von dieser Sorte hätte ich gerne für meinen Betrieb.“ Die unterschiedlichen Bedürfnisse und Standorteigenschaften (bspw. Krankheitsdruck) der einzelnen Betriebe werden also von Anfang an bei den Züchtungsentscheidungen berücksichtigt.

Bei den regelmäßigen Treffen und der gemeinsamen Kreuzungsplanung muss dann zwar auch „der Dissens manchmal ausgehalten werden“, der ist aber fester Teil der Weiterentwicklung von apfel:gut. Und sowieso: „Bei einem so langfristigen Projekt wie der Obstzüchtung ist es auch nicht so wichtig, dass man immer alle Entscheidungen schnell trifft, da kann man sich auch mal länger Zeit nehmen um Diskussionen zu führen.“ Denn von der ersten Idee, welche Züchtungskombinationen gut passen könnten, bis zum tatsächlichen Ergebnis einer neuen Sorte dauert es erfahrungsgemäß mindestens 15 Jahre. In dieser Zeit bilden sich die Teilnehmenden gemeinsam weiter und tauschen sich über ihre Erfahrungen und ihr Wissen über Sorten, die Züchtungen und den Obstbau aus.

Und wie funktioniert die Apfelzüchtung?

Das Züchtungskonzept selbst besteht dabei darin, dass wieder robuste traditionelle Sorten verwendet werden, sei es durch gezielte Kreuzung interessanter alter Sorten oder indem eine robuste traditionelle mit einer modernen Apfelsorte gekreuzt wird. Aber wie war das nochmal mit der Vermehrung von Obstpflanzen? Normalerweise wird Obst über Reiser, also junge Triebe eines Baumes, vermehrt, die dann wieder auf einen anderen Baum (der bspw. die Wurzeln bildet) veredelt werden. Üblicherweise wird Obst also geklont um es zu vermehren. Wer Obst allerdings züchten möchte und neue Sorten entwickeln will, muss Kerne aussäen und wer gezielt Bäume paaren möchte, muss „Biene spielen“. Also reisen die Apfelzüchter*innen von apfel:gut während der Apfelbaumblüte von Mitte April bis Mitte Mai durch das Land, sammeln Pollen von ausgewählten Bäumen und bestäuben die Blüten von den Partnerbäumen auf den verschiedenen Standorten mit dem Pinsel. Damit nicht parallel auch die Bienen bestäuben, werden die Blüten in dieser Zeit in ein Vlies eingepackt. Später im Herbst werden die Kreuzungsäpfel dann geerntet, die Kerne selbst aufgezogen oder als Sämlingspflanzen wieder auf die anderen Betriebe verteilt. Anschließend heißt es dann erstmal warten und genau beobachten, ob die Pflanze gesund ist oder die Blätter von Mehltau oder Schorf befallen werden. Bis die jungen Bäume erstmals fruchten, kann es 5 Jahre und mehr dauern. Um eine Sorte auf die gewünschten Eigenschaften zu prüfen, braucht man also viel Geduld und einen langen Atem. [2]

Was wünschen sich die Teilnehmenden?

Zum einen natürlich mehr partizipative Züchtung in enger Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Praxis, wie es auch gerade in vielen Ländern des Globalen Südens schon praktiziert wird. Doch wie so oft bei alternativen Züchtungsprojekten drückt auch bei apfel:gut der Schuh, wenn es um die Frage der Finanzierung geht. Denn Züchtungsarbeit ist aufwändig, und apfel:gut meldet bisher seine neue Sorten nur als Amateursorten an, da die Standard-Sortenzulassungen mit Kosten von bis zu 10.000 € zu teuer sind. Als Amateursorte wird von interessierten Betrieben aber nur ein freiwilliger Entwicklungsbeitrag bezahlt. Da gerade Obstbaubetriebe selber wenig finanziellen Spielraum haben, können diese Beiträge die Kosten für die gesamte Züchtungsarbeit nicht decken. Unterstützt wird die Züchtungsarbeit von apfel:gut bisher durch den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, weitere Stiftungen und private Spenden. Ohne einen hohen Anteil engagierter und ehrenamtlicher Arbeit bei den Beteiligten wäre die Züchtungsinitiative apfel:gut jedoch bis heute nicht realisierbar.

Diesem ehrenamtlichen Engagement gegenüber steht eine weitaus besser finanzierte öffentliche Obstzüchtung, „die allerdings nicht auf die Bedürfnisse des Ökolandbaus ausgerichtet ist, teilweise sehr gentechnikaffin und auch nicht unter Öko-Bedingungen durchgeführt wird“. Die Forderung an die Politik ist also, neben öffentlichen Forschungseinrichtungen, die jedes Jahr mehrere 100.000 € für die konventionelle und gentechnische Obstzüchtung bekommen, auch für die ökologische und gemeinnützige Züchtung langfristig öffentliche Gelder bereitzustellen und diese gleichberechtigt finanziell auszustatten. Erst recht, wenn es wirklich das Ziel der Regierung ist, bis 2030 20 % Ökolandbau in Deutschland zu verwirklichen, geht das nur, wenn auch entsprechend öffentliche Gelder für die Obstzüchtung in diesen Bereich bereitgestellt werden.

Erleichtert wäre die Arbeit auch, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Anmeldung neuer Sorten überarbeitet werden und man die Obstsorten länger auf dem Markt und in der Praxis testen kann, bevor man sie anmelden muss. Auch der bürokratische Aufwand für die Anmeldung neu gezüchteter Sorten sollte verringert werden.

Wie geht’s weiter?

Der apfel:gut e.V. blickt sehr optimistisch in die Zukunft und möchte sich weiter professionalisieren und als Organisation weiterentwickeln. So steigt die positive Resonanz der Züchtungsarbeit gerade bei Direktvermarktern und Öko-Obstbauer*innen. Dafür soll die Vernetzung ausgebaut werden und neue Standorte und Mitstreiter*innen können gerne dazukommen, „denn Ideen und Möglichkeiten sich einzubringen gibt es genug“. Sowieso können sich die Obstzüchter auch vorstellen, neben Äpfeln und Birnen auch Steinobst züchterisch weiterzuentwickeln.

Was können wir mitnehmen?

Auch wenn die ökologische Kernobstzüchtung auf den ersten Blick als „extrem spezialisiertes Thema“ weit vom Lebensalltag der meisten Menschen weg ist, so besteht trotzdem die Perspektive, dass sich manch ein Mensch beim alltäglichen Gang ans Obstregal im Supermarkt doch mal die Frage stellt, wieso hier eigentlich alles gleich schmeckt und gleich aussieht. „Die zentrale Stellschraube ist aber die Produktion und nicht der Konsument!“ Hier müssen wir gemeinsam mehr Druck auf die Politik und den Markt ausüben.

Um nichtsdestotrotz auch die Menschen abzuholen, damit sie sich wieder mehr obstbauliches Wissen aneignen können, macht der Verein neben der Züchtungsarbeit Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit. Wer zum Beispiel jetzt schon auf den Geschmack gekommen ist, kann für einen weiteren Einblick in die Obstzüchtung und Veredelung gleich am 12.5. beim kostenfreien Webinar „Auf den Spuren der Ökozüchter“ von denn’s und u.a. mit Matthias Ristel teilnehmen. Denn letztlich ist „die Vermehrung von Obst einfacher als die Vermehrung von vielen Gemüsesorten“ und daher ideal geeignet, um die Veredlung selber auszuprobieren.

Bis es genug Bäume gibt, damit wir die Sorte Wanja und andere unkonventionelle Sorten im Laden kaufen können, wird es wohl noch ein paar Jahre dauern. Allerdings könnt ihr schon heute in euren Lieblingsläden mal nachfragen, warum hier eigentlich welche Sorten angeboten werden und ob nicht eine breitere Vielfalt möglich wäre. Wir sind auf jeden Fall sehr beeindruckt von der unermüdlichen Arbeit von apfel:gut und wie sie die Alternative, die sie sich wünschten, einfach selber aufgebaut und dabei die solidarische Zusammenarbeit in den Vordergrund gestellt haben!


[1] Für Neugierige: Wanja-Bäume bekommt ihr voraussichtlich ab dem Herbst 2020 hier und hier und könnt schon jetzt dort anfragen. [2] Wer nochmal genau nachlesen möchte wie die Apfelzüchtung funktioniert, wird hier fündig: https://www.apfel-gut.org/wie_wirs_machen.cfm

Die Fotos wurden uns von apfel:gut zur Verfügung gestellt. Danke!


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