Mit vereinten Gärten

Anbau der Wissen schafft

Wie kann bäuerliche Unabhängigkeit und Vielfalt praktisch gefördert werden? „Mit vereinten Gärten!“ Das Netzwerk von Gärtnerinnen und Gärtnern, das unter diesem Namen heranwächst, will Mehltau-tolerante Salatsorten entwickeln, die den Ansprüchen des modernen Bioanbaus entsprechen. Wie das geht, was Mehltau überhaupt ist und was sich hinter dem Begriff „Bürgerwissenschaft“ verbirgt, darüber haben wir mit Ulrike Elliger von Sativa Rheinau gesprochen.

Mehltau ist ein großes Problem

Im Biosalatanbau ist der falsche Mehltau eine häufige Pflanzenkrankheit. Die Erreger der sehr anpassungsfähigen Pilze können den ganzen Anbau vernichten, da auf den Einsatz von Fungiziden verzichtet wird. In der konventionellen Pflanzenzüchtung werden deshalb monogene Resistenzen eingezüchtet, die jedoch durch die enorme Anpassungsfähigkeit des Erregers schon nach 1-2 Jahren durchbrochen werden. Ulrike Elliger von der Sativa Rheinau meint: „Wir brauchen robuste Salatsorten, die mit Mehltaubefall umgehen können und dann immer noch vermarktungsfähig sind. Deshalb setzten wir auf Toleranz statt Resistenz.“ In dem innovativen Züchtungsprojekt greift man dafür auf die natürliche Widerstandsfähigkeit (Feldresistenz) alter Salatsorten zurück, die in moderne Salatsorten eingekreuzt werden sollen. Projektpartner ist deshalb die Stiftung ProSpecieRara, die sich für Erhalt und Förderung von alten und seltenen Kulturpflanzensorten und Nutztiertrassen einsetzt.

Was macht das Projekt so attraktiv?

„Mit vereinten Gärten“ ist ein länderübergreifendes Gemeinschaftsprojekt von Hobby- und Profigärtner*innen, von Südfrankreich bis Norddeutschland. Gestartet ist das Projekt 2019 mit insgesamt 750 Gärtner*innen, inzwischen sind es schon über 1200 aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg und Belgien. Die Züchtung neuer Bio-Sorten bedarf einer wissenschaftlichen Basis und viel Know-How. Die Anleitung des Projekts übernehmen daher die Züchter*innen von Sativa. „Das Projekt ist ein Citizen Science-Projekt, d.h. die Teilnehmenden übernehmen für uns wissenschaftliche Arbeiten in dem Züchtungsprozess und liefern uns die Daten, die wir für die Bewertung der Testsorten benötigen.“ Die starke Nachfrage hat auch die Initiator*innen positiv überrascht. „In jeder Region gibt es andere Mehltau-Stämme, deshalb ist es wichtig, die Versuchssorten an möglichst vielen verschiedenen Standorten zu testen. Was allein kaum realisierbar ist, wird möglich durch die Zusammenarbeit mit vielen Gärtnern*innen aus ganz Mitteleuropa.“

Mit vereinten Gärten - Teilnehmer Mai 2019

Was ist Bürgerwissenschaft?

Bei einem Citizen Science-Projekt übernehmen interessierte und engagierte Bürger*innen wissenschaftliche Arbeiten, indem sie beispielsweise wie beim Versuchskonzept von „Mit vereinten Gärten“ ihre Ergebnisse vom Versuchsanbau dokumentieren und den Züchter*innen wichtige Daten liefern. Als konkretes Vorbild nennt Ulrike Elliger das „1000 Gärten“-Projekt der Universität Hohenheim, bei dem Sojabohnen für den Anbau in unseren kühleren Klimazonen getestet wurden. Da es im Bereich der Pflanzenzüchtung noch nicht so viele Erfahrungen mit dem neuen gemeinschaftlichen Züchtungsansatz gibt, hilft das Feedback der Teilnehmenden enorm, das Format und die Anleitung weiterzuentwickeln. Im Kern geht es darum: Der Salat wird angebaut und wenn er erntereif bzw. vermarktungsfähig ist, wird der Salat auf Mehltaubefall beurteilt und die Beobachtungen über einen Online-Erfassungsbogen mitgeteilt.

Das geht mit dem Handy inzwischen sogar direkt aus dem Garten und viele Teilnehmende haben auch gleich begeistert Fotos mitgeschickt. „Ich denke dieser Gemeinschaftsgedanke, dass jetzt im gleichen Moment 1200 Mitgärtner mit mir zusammen diesen Versuch durchführen, das finden viele Menschen toll. An einem wissenschaftlichen Züchtungsprojekt teilzunehmen, dazuzulernen und in einer Gemeinschaft etwas für einen guten Zweck zu machen ist eine große Motivation“, sagt Ulrike Elliger. Markus Tobler, der dieses Jahr zum zweiten Mal am Projekt teilnimmt, erklärt seine Motivation so: „‘Gewinnen’ werde ich auf jeden Fall: entweder durch den dokumentierten Mehltaubefall, oder durch eine schöne Salaternte.“ Für den Gärtner Markus Reichel von der Gärtnerei Schnabel in Töpen war es spannend zu beobachten wie sich die Salate entwickeln. Warum er dabei ist? „Vor allem wegen meines Sorteninteresses und der Motivation Neues auszuprobieren.“ Dafür konnte er sogar seine Kinder begeistern, die Freude am Mitmachen hatten.

Was erwartet die Teilnehmenden?

Teilnehmen im Spätsommer kann im Prinzip fast jede*r mit einem kleinen Stück Beet. Die Mindestfläche sind 5 Quadratmeter und für jede Testlinie bekommen die Teilnehmenden ein Tütchen mit Samen. Wer 2 Sorten testet, kultiviert 40 Salatpflanzen, bei 7 Sorten sind es schon 140. Zu allen Versuchsetappen (Aussaat, Auspflanzung, Anbau, Bonitur) gibt es Begleitmails, die auch auf aktuelle Herausforderungen eingehen, wie z.B. den Umgang mit extremen Wetterbedingungen oder Schädlingsbefall. Die Teilnehmer können während der gesamten Versuchsphase Fragen per Mail an die Projektbetreuung stellen. In einem Teilnehmerhandbuch finden sich alle wichtigen Informationen zum Versuchsanbau sowie Hintergrundinformationen zum Züchtungsprojekt, den wissenschaftlichen Grundlagen oder der Geschichte der Versuchssorten. Spannend wird’s dann, wenn die Theorie in die Praxis umgesetzt wird. Und wenn im Hausgarten sonst mit Mischkulturen gearbeitet wird, ist der saubere parzellenartige Anbau ein echter Blickfang.

Gibt es schon Ergebnisse?

Die Züchtungsarbeit ist immer ein mehrjähriger Prozess. Von daher ist das Projekt langfristig angelegt und kann nach zwei Jahren noch keine belastbaren Resultate vorweisen. Aktuell sind es aber etwa 40 Testlinien, die in den Versuchsanbau gegeben werden und gute Aussichten versprechen. Samenfeste und robuste Biosorten sind eine entscheidende Grundlage für nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung. Es wird also immer wichtiger, das Bewusstsein für den Wert von ökologischer Züchtungsarbeit zu steigern. Bei der Konzeption und Durchführung des Projekts hat das Team eine steile Lernkurve durchlaufen. So zeigte sich z.B. beim ersten Anbau 2019, dass die Entwicklung der Salatköpfe in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich ausfiel. „Während die Salate der Teilnehmer aus den kühleren nordischen Regionen erst kleine Köpfe ausgebildet hatten, waren die Salate bei den Teilnehmern im Süden in Frankreich schon am in die Höhe schießen.“ Die naheliegende Lösung war eine Einteilung der Regionen in drei Klimabereiche mit angepassten Aussaatterminen. Eine Teilnehmerin aus Amsterdam kann schon ab Anfang Juli aussäen, ein Teilnehmer aus Bordeaux wartet bis Mitte/Ende August, wenn andere Teilnehmer*innen ihre Salate also schon auspflanzen.

Der Ansatz der Bürgerwissenschaften ist neu und wird mit dem Feedback der Teilnehmenden kontinuierlich weiterentwickelt. Das Züchtungsprojekt steht einerseits vor der Herausforderung wissenschaftliche Anforderungen zu erfüllen und anderseits einen möglichst einfachen und spannenden, im Hausgarten realisierbaren Versuchsanbau für die Teilnehmenden zu bieten. Hintergrundwissen muss verständlich vermittelt werden und der Versuchsablauf nachvollziehbar beschrieben werden. Finanzielle Förderung erhielt dieses neue Züchtungsprojekt die ersten zwei Jahre durch die Zukunftsstiftung Biomarkt und von einem Schweizer Programm zur Förderung der Sortenvielfalt. Für die kommenden Jahre werden weitere Sponsoren angefragt.

Wie geht’s weiter?

Die zweite Saison ist in vollem Gange und nach der Ergebnissicherung setzt sich der Kreislauf im nächsten Jahr weiter fort. Das Projekt wird dabei Schritt für Schritt weiterentwickelt. So befindet sich die Zusammenarbeit mit Universitäten noch im Aufbau und mit den zusätzlichen wissenschaftlichen Kapazitäten erhoffen sich die Projektinitiatoren, auch an komplexeren polygenen Feldresistenzen weiterzuforschen. Sicher ist dabei, dass nach den Prinzipien der gemeinschaftsgetragenen Züchtungsarbeit neu entwickelte Sorten unter keinen Umständen patentiert werden sollen, so dass die genetischen Ressourcen allgemein zugänglich sind. Weiter steckt natürlich auch im Netzwerk selbst ein großes Potenzial. Perspektivisch kann das Gärtner*innennetzwerk zu einer regen Austauschplattform ausgebaut werden und auch für die Entwicklung weiterer Kulturen in der biologischen Pflanzenzüchtung genutzt werden. Wohin es geht, „das entsteht im Gehen“. Ulrike Elliger freut sich, dass das Interesse am Thema Saatgut und biologischer Pflanzenzüchtung wächst und viele Menschen begeistert. Das Projekt erhielt viel positives Feedback und auch die Nachfrage nach Biosaatgut wächst stetig, sodass die Initiatoren optimistisch nach vorne blicken.

Was können wir mitnehmen?

„Mit vereinten Gärten“ hat einen außerordentlich gelungenen und recht einzigartigen Start hingelegt. Mit zunehmender Entfaltung und Förderung aus der gesellschaftlichen Wertschätzung heraus kann tatsächlich etwas Beständiges aufgebaut werden, dass für immer vielfältigere Themen genutzt werden kann. Der Lernprozess um die Ausgestaltung des Salatprojekts, die adäquate Anleitung der teilnehmenden Hobby- und Profigärtner*innen und die gebündelten individuellen Praxiserfahrungen machen es für alle Beteiligten zu einem spannenden gemeinschafftsgetragenen Ansatz. Ulrike Elliger ist stolz darauf, dass durch das Projekt ein anderes gesellschaftliches Modell gefordert wird, in dem nicht immer nur finanzielle Interessen im Vordergrund stehen. Im Grunde betrifft die umweltverträgliche Lebensmittelerzeugung uns alle und ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Schwarmintelligenz und das Potenzial der Vielen, die an einem Strang ziehen – das ist besonders wichtig in dieser Zeit, um Herausforderungen gemeinsam schneller zu lösen!

Mit vereinten Gärten - Collage2019

Die Fotos wurden uns von „Mit vereinten Gärten“ und den Teilnehmer*innen zur Verfügung gestellt. Danke!


Förderung FEB