Fairfleisch - Bio-Musterregion Bodensee - Schlachterei

Schlachthof Überlingen

In vielen Gegenden Deutschlands gibt es im Umkreis von zwei bis drei Stunden nur noch Megaschlachthöfe wie Tönnies & Co. Für kleinere Betriebe wurde der Zugang zu tiergerechter Schlachtung in den letzten Jahrzehnten extrem erschwert. Wir haben mit Matthias Minister von der Schlachthofinitiative Überlingen gesprochen, um mehr über die Erfolgsgeschichte dieser Initiative zu erfahren.

Es gibt immer weniger Alternativen zu Tönnies, Vion, Westfleisch & Co

Der Strukturwandel im Ernährungssystem der vergangenen Jahrzehnte ist auch an den Schlachthöfen nicht vorbeigegangen. Um Lebensmittel günstig zu machen, wurden große Einzelhandelsunternehmen politisch gefordert und unterstützt, und wurden dadurch immer größer. Zulieferer von Kaufland, Lidl und Co., wie z.B. große Fleischverarbeitungsbetriebe, sind mitgewachsen – auf der anderen Seite sind handwerkliche und regionale Strukturen weggebrochen.

Auch in Überlingen waren die Auswirkungen dieser Politik sichtbar: Bis Anfang der 90er gab es dort, wie durchaus üblich zu der Zeit, noch einen kommunalen Schlachthof. Als die betreibende Firma des Schlachthofs 1992 den Schlachtbetrieb plötzlich einstellte, zeichnete sich ab: Auch hier steht den regionalen Strukturen der Exodus bevor. „Einen Schlachthof kommunal zu fördern ist einfach nicht so sexy wie ein Schwimmbad oder eine Kita zu betreiben“, schlussfolgert Matthias Minister. Bäuer:innen wussten von einem Tag auf den anderen nicht mehr wo sie ihr Vieh schlachten lassen sollen.

Fairfleisch

Bio-Musterregion Bodensee, Betriebe und Region im Kurzportrait

(Fotograf: MLR BW / Jan Potente)

Matthias Minister, Schlachthofinitiative Überlingen und Geschäftsführer von Fairfleisch

Wenn sich Landwirt:innen, Umweltschützer:innen und Metzger:innen zusammentun…

Doch es geht auch anders: In der viehstarken Region hat sich als Reaktion auf die Schließung zackig eine Initiative zum Erhalt des Schlachtbetriebs gegründet. Initiator:innen waren Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Bio-Landwirt:innen, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Metzger:innen aus der Region. Die Initiative machte öffentlichkeitswirksam deutlich, dass eine bäuerliche Landwirtschaft auch eine regionale Möglichkeit der Schlachtung und handwerklichen Verarbeitung braucht.

Und sie waren erfolgreich! Die Stadtverwaltung willigte ein und verpachtete den Schlachthof an die Initiator:innen, die daraufhin den bestehenden Schlachtbetrieb weiterführten. Etliche Jahre später zog der Schlachthof an einen neuen Standort, der sich außerhalb der Stadt und beim Unternehmen Fairfleisch befindet, was u.a. auch einen Zerlege- und Verarbeitungsbetrieb umfasst. Fairfleisch ist mit einem Anteil von 80% gleichzeitig der größte Kunde des Schlachthofs.

Die Kommune Überlingen, sowie einige umliegenden Gemeinden, sind stille Gesellschafter des Schlachthofs, was das öffentliche und politische Interesse an tierfreundlicher und regionaler Schlachtung zeigt. Durch kleine Einheiten und regionale Strukturen wird die Lebensmittelversorgung widerstandsfähiger gegenüber Krisen. Politische und wirtschaftliche Macht wird verteilt, statt – dem Trend folgend – sich fortlaufend auf wenige Konzerne zu konzentrieren.

“Es braucht Standhaftigkeit, Durchhaltevermögen und Energie, um nicht den bequemsten Weg zu gehen”

Anfangs lag die größte Herausforderung darin, Metzgereien als Vertriebsmöglichkeit zu erreichen. Die Struktur des Handwerks hatte sich über Jahrzehnte komplett verändert, auch kleine Metzgereien hatten mit dem Preisdruck der großen Einzelhandelskonzerne zu kämpfen. „Wir dachten eigentlich, dass das Metzgerhandwerk aus der Region uns als regionale Schlachtmöglichkeit die Türen einrennt. Das war leider nicht der Fall”, erinnert sich Matthias Minister. Viele Metzger:innen kaufen mittlerweile lieber günstig Massenware ein, statt in den Betrieben vor Ort Fleisch zu kaufen. Die Strukturen und Vertriebswege, die für kleine Schlachthöfe eine gute Basis wären, verschwanden damit von Jahr zu Jahr.

Der Preisdruck machte auch bei der Schlachthofinitiative keinen Halt: Lange dachten die Initiator:innen, sie müssten mit Großbetrieben konkurrieren können und billige Schlachtung anbieten. Doch die Nachfrage blieb weitestgehend aus – und die Betriebsausgaben konnten durch die günstigen Preise nicht gedeckt werden. Ein Teufelskreis – denn auf Dauer war es unmöglich, den Anspruch an tierwohlgerechte Schlachtung und Qualität mit zu niedrigen Einnahmen aufrecht zu erhalten.

Finanzieren konnte sich die Initiative erst, als sie kostendeckende Preise verlangten. Und zum Glück zeigte sich schnell, dass die Kund:innen dem Schlachthof treu blieben und akzeptieren, dass diese ihren Preis hat. Für den Schlachthof war dies eine wertvolle Bestätigung und ein wichtiger Meilenstein, um den Betrieb auf Dauer halten zu können.

Nutztierzahlen reduzieren und gleichzeitig dezentrale Strukturen erhalten – wie kann das gelingen?

Der Strukturwandel in der Fleischverarbeitung ist die Folge einer Politik zugunsten billiger Lebensmittel. Für eine zukunftsfähige Tierhaltung brauchen wir jedoch angemessene Preise und müssen insgesamt weniger Tiere halten, denn uns geht die Fläche aus. Ein nachhaltiges Ernährungssystem setzt nicht nur auf die Reduktion der Tierzahlen, sondern auch auf regionale Kreisläufe. Durch regionale und kleine Einheiten bestimmen Produzierende und Verbrauchende mit und wirtschaftliche Macht wird umverteilt.

Was es jetzt braucht, ist ein klares Bekenntnis der Politik zu regionalen und handwerklichen Strukturen: Kleine, handwerkliche Strukturen müssen aktiv unterstützt bzw. entlastet werden. Denn gleiche rechtliche und bürokratische Vorgaben bedeuten in der Praxis einen Vorteil für Großbetriebe: Im Handwerksbetrieb können nicht so leicht Qualitätsmanager:innen oder Tierschutzbeauftragte angestellt werden, sondern der Aufwand bleibt bei dem:der Inhaber:in hängen. Gegen diese Entwicklung kann z.B. die gezielte Förderung von lokalen Strukturen steuern, die öffentlich oder gemeinschaftlich getragen werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass Großbetriebe nicht von Geldern und Sonderregelungen profitieren.

Landwirtschaft muss dem Gemeinwohl dienen

Für Matthias Minister gibt es keine Alternative, als mit der Schlachthofinitiative und Fairfleisch weiterhin einen wichtigen Teil zur Tierhaltungswende beizutragen. Seine Utopie ist eine (Land-)Wirtschaft, die der breiten Gesellschaft – also dem Gemeinwohl – dient. Eine Möglichkeit dies umzusetzen sieht er im Konzept Gemeinwohlökonomie. Demnach werden Unternehmen nach ihrem Wirken in den Bereichen Menschenrechte, Solidarität, Mitbestimmung & Transparenz und Ökologische Nachhaltigkeit bewertet. Diese Bilanz könnte dann z.B. als Grundlage für öffentliche Ausschreibungen verwendet werden.

Die Fotos wurden uns von der Schlachthofinitiative Überlingen zur Verfügung gestellt, vielen Dank dafür!